Keine Familie, kein Zuhause, und dennoch ein Weihnachtsfest
„Viele haben keine Familie. Einige haben nicht einmal eigene vier Wände, in denen sie feiern können“, erzählt Roland Reithofer, Geschäftsführer der Suchthilfe Wien. Rund 14.000 Menschen in Wien sind suchtkrank – für viele ist Weihnachten eine belastende Zeit. Mehr als 280 Menschen suchen daher derzeit täglich Hilfe bei der Beratungsstelle jedmayer am Gumpendorfer Gürtel in Wien. Die Vorbereitungen für die Weihnachtsfeier am 24. Dezember im jedmayer laufen ebenfalls auf Hochtouren: Erwartet werden mehr als 300 Gäste.
Weihnachten sei für zahlreiche Klienten wohl die schwierigste Zeit des Jahres, schildert Reithofer: „Viele fühlen sich unter der glitzernden Weihnachtsdeko besonders einsam“, erklärt er. „Sie vermissen jemanden, der sie schätzt, sie liebt, oder auf sie aufpasst.“
Aufgrund des großen Andrangs sei Weihnachten auch für die Mitarbeiter eine Herausforderung, weiß Elisabeth Odelga-Öcker, Sozialarbeiterin und Leiterin der Beratungsstelle jedmayer. Dennoch feiern sie gerne mit den Klienten – zwölf Mitarbeiter sind dafür am 24. Dezember im Einsatz: „Sie feiern mit ihren Familien an einem anderen Tag, damit sie den 24.12. mit ihren Klienten verbringen können“, schildert Odelga-Öcker.
Gemeinsames Fest
Die Sozialarbeiter bereiten das Fest vor, dekorieren den Aufenthaltsraum und kochen gemeinsam: „Einige schneiden sogar stundenlang Zwiebeln für einen großen Topf Gulasch“, schildert die Sozialarbeiterin und lacht. Geöffnet ist von 9.30 Uhr bis 17.30 Uhr, vorbeikommen kann jeder – wenn gewünscht, auch ohne Nennung des Namens.
Einer der 300 erwarteten Gäste ist Martin, 59 Jahre alt, und ursprünglich aus Linz – ein „Stahlstadtkind“, wie er sich nennt. „Natürlich komme ich her – hier ist doch meine Familie“, sagt er und lacht.
Kein Kontakt mit Verwandten
Mit seinen leiblichen Verwandten hatte er „seit ewig“ keinen Kontakt: Die Eltern kümmerten sich nicht um ihn, die Großeltern starben vor langer Zeit. „Gott sei Dank haben sie meine Minusphase nicht mehr miterlebt“, erzählt er. „Das hätte ihnen das Herz gebrochen.“ Die „Minusphase“: Sie begann mit „ein paar Joints“ in der Lehrzeit und gipfelte in einem 16-jährigen Gefängnisaufenthalt in Krems-Stein.
Seit seiner Entlassung im Jahr 2004 ist er Klient bei der Suchtberatung Wien. Dieser Tage übernachte er sogar in der Notschlafstelle des jedmayer, da er – „es war eine blöde, wirklich saublöde Aktion von mir“ – kurz vor Weihnachten seine Wohnung verlor. Als er das erzählt, bricht Martins Stimme, Tränen stehen in seinen Augen. „Ich hab’ schon Zweifel gehabt, ob ich in meinem Alter wirklich noch mal von vorn anfangen soll“, sagt er leise. Hier hakt Odelga-Öcker ein: „Martin, du weißt, dass du das schaffst.“ Ja, Weihnachten sei eine schwierige Zeit, sagt Martin nachdenklich. „Aber mit der Unterstützung hier schaffe ich es.“
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