Floridsdorf und seine 80 Wunderteams: Wie der Fußball den Arbeiterbezirk prägte

Schwarz-Weiß-Foto einer historischen Spielszene in Floridsdorf.
Ein neues Buch beschreibt die Vielfalt und prägende Wirkung des Ballesterns für einen klassischen Wiener Arbeiterbezirk.
Von Uwe Mauch

Das Schreiben des Sportklubs Floridsdorfer Rasenspieler an die „löbliche Polizeidirektion Wien“ vom 6. April 1934 ist ein Zeitdokument, das heute noch Gänsehaut erzeugt. Die Vertreter des Arbeitervereins flehen fast, das vom austrofaschistischen Regime verhängte Verbot wieder aufzuheben:

„Wir bitten Sie im Interesse des Vereines, dessen Mitglieder zu 90 % arbeitslos sind und durch das Spielverbot um ihr einziges Vergnügen gekommen sind, um baldige Erledigung unserer Angelegenheit.“

Dieser Brief ist im Wiener Stadtarchiv einzusehen – und nun auch in dem Buch „Von der Birnerwiese nach Nord-Wien“, das auf 287 Seiten Zahlen, Daten und Fakten zur Geschichte des Fußballs in Floridsdorf aneinanderreiht.

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Das fußballbegeisterte Autorentrio von links nach rechts:  Karl Vranovitz, Markus Oswald und Peter Biwald.

Erster SK Sturm in Wien

Recherchiert und geschrieben haben es drei Freunde, die nicht von ihrem Fußballspezialwissen leben (müssen): Peter Biwald berät im Brotberuf österreichische Gemeinden in Finanzfragen; Markus Oswald verdient sein Geld als selbstständig tätiger Hanfgärtner; Karl Vranovitz findet auf dem Fußballplatz Ausgleich zu seinem Beruf als Pfleger im Krankenhaus.

Eine Leistung ihres Buchs ist die Dokumentation von 80 Vereinen, die jemals im 21. Bezirk eine Fußballelf gestellt haben. Echte Diamanten der Namensgebung finden sich darunter wie zum Beispiel die Burschenschaft Einigkeit, die von 1898 bis 1905 auf einer Fußballwiese in Jedlesee ihr Miteinander beweisen wollte.

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Blick in eines der vielen privaten Fotoalben der drei Wiener Fußball-Liebhaber.

Lange vor dem SK Sturm Graz, 1909 gegründet, kickte ebenfalls in Jedlesee ein SK Sturm, der jedoch schon 1900 nicht mehr stürmen konnte oder wollte. Stolze 25 Vereine zählte man in Floridsdorf in der Zwischenkriegszeit, unter anderem den Sport- und Geselligkeitsverein Frohsinn oder einen Verein, der sich modern Floridsdorfer Transit nannte.

Pauker, Trauzl, Shell, ÖAF, Ferrum Glasarbeit, Siemens, Lofak – neben jeder Fabrik gab es einen Fußballplatz mit darauf kickender Werkself.

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Echte Rarität: Foto vom 1. Floridsdorfer Athletik Sportklub – heute besser bekannt als „der FAC“.

Vogl zu Schall

Traurig ist in diesem Kontext die Bilanz, die der Wiener Fußballverband heute zieht: Von den einst 80 Vereinen spielen im Ligabetrieb derzeit nur noch elf, und von den 32 historischen Fußballplätzen gibt es heute nur mehr zehn.

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Der Donaufelder Markus Oswald mit der einzigartigen Meistermedaille des Floridsdorfer AC.

Gärtner Markus Oswald hat in seiner Jugend für den Donaufelder Nachwuchs gespielt und hofft seither auf den Aufstieg der Rasenspieler in die Bundesliga. Er macht auf die sportlichen Erfolge der in Jedlesee und nicht in der Südstadt gegründeten Admira aufmerksam: „Sie waren alles in allem sieben Mal österreichischer Meister, sechs Mal Cupsieger und ein Mal im Finale des Mitropacups, eines Vorgängerbewerbes der heutigen Champions League.“

Die beiden Admiraner Schall und Vogl („Vogl zu Schall – Schuss, Tor!“) sorgten im Wunderteam und in der Populärkultur für Furore.

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Österreichischer Meister: Diese Medaille erhielt 1918 ein Spieler des Floridsdorfer AC.

Kollege Vranovitz hat den Fußball in Floridsdorf von 1983 bis 1999 als Schiedsrichter mit seinem Pfeiferl kennen und schätzen gelernt: „Ich habe gerne im 21. Bezirk gepfiffen, es gab bei den Funktionären der Vereine überraschend viel Disziplin.“

Die Liebe zum Fußball hat sich der Pfleger in einem Spital in Transdanubien auch nach seiner aktiven Karriere als Schiedsrichter bewahrt.

Karl Vranovitz bezeichnet Floridsdorf auch als „Wiege des österreichischen Frauenfußballs“. Wohl zu Recht, war doch das Team der Frauen von Union Landhaus bereits längst Serienmeister in der damaligen Mini-Bundesliga, da meinte ein Funktionär des ÖFB allen Ernstes zu einem Journalisten, dass Frauen nicht Fußball spielen sollten, „sondern besser kochen, Wäsche waschen und bügeln“.

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Hinter jedem Floridsdorfer Fußballverein standen immer auch Menschen, die sich engagiert haben.

„Eine Hommage“

Finanzexperte Peter Biwald möchte mit seiner Arbeit „die vielfältige Geschichte des Fußballs in Floridsdorf darstellen“. Zudem sei das Buch „eine Hommage an all die Vereine, die es zum großen Teil nicht mehr gibt. Hinter jedem Verein stehen immer reale Menschen, die sich oft ehrenamtlich für die Gemeinschaft eingesetzt haben.“

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