Der Freiheitskämpfer, seine Tochter und seine Enkeltochter

Jeanette Mayrhofer-Berger und Mira Mayrhofer sitzen nebeneinader.
Moritz Margulies hat den Kampf für ein freies Österreich überlebt. Daran erinnern Nachfahren in einem Buch.
Von Uwe Mauch

Moritz Margulies ist 17, als er in einem Gymnasium in Czernowitz einem antisemitischen Lehrer eine Ohrfeige gibt und dafür von der Schule fliegt. Im Austrofaschismus (1933 bis 1938) wird er in Wien zum ersten Mal verhaftet. Aufgrund seines Widerstands gegen die Nazis verhaften ihn auch die Schergen des NS-Regimes. In ihren Gefängnissen und Lagern wird er malträtiert, bis ihm im Jahr 1944 in Südfrankreich mit anderen die Flucht gelingt.

Jeanette Mayrhofer-Berger und Mira Mayrhofer haben ein Buch über den Kampf ihres Vaters bzw. Großvaters für ein freies Österreich herausgegeben. Das Buch „Eine Kunde meiner Existenz“ ist im Mandelbaum-Verlag erschienen (186 Seiten, 18 Euro). Es beinhaltet in erster Linie Briefe, die Moritz Margulies nach 1945 an einen Freund geschrieben hat.

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Hochzeitsfoto anno 1939: Moritz Margulies mit seiner Frau Ida, geborene Piepes.

Freiheit für alle

Er besaß nach Ansicht der Tochter und der Enkeltochter einen überbordenden Freiheitssinn. Sein politisches Credo zitieren sie so: „Ein Mensch ist erst dann frei, wenn alle Menschen frei sind.“

Was für ein Mensch er war und wie er Freiheit in der Praxis interpretiert hat, versuchen die beiden Frauen im Gespräch mit dem KURIER anhand von zwei Anekdoten deutlich zu machen.

In Frankreich hätte Margulies einmal aus einem Lager der Nazis ausbrechen können, wollte diese Chance aber nicht nützen. In einem der Briefe an seinen Freund begründete er dies später so: „Aber ich konnte es nicht tun. Ich konnte die Leute nicht im Stich lassen. Ich musste ihnen Mut geben, denn sie schauten auf mich.“

Vor den Ohren der Aufseher sagte er unverblümt in ein Mikrofon: „Die Wachen mitsamt dem Chef sollen uns am Arsch lecken.“ Auch seine Freiheit war in diesem Moment dahingeschmolzen.

Er selbst empfand sich nicht als mutig, wie er ebenfalls in einem Brief festhielt. Mutig war viel mehr der, der mehr Angst vor den Nazis verspürte als er. Er beschreibt dazu einen Genossen, der sich bei jeder Aktion zu Tode fürchtete und dennoch nicht aufgab: „Er ist schließlich von den Nazis zum Tode gefoltert worden.“

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Jeanette Mayrhofer-Berger, die Tochter von Moritz Margulies.

Der Wert der Freiheit

Jeanette Mayrhofer-Berger, die Tochter von Moritz Margulies, wurde 1946 in Wien geboren. Sie hat bis zu ihrer Pensionierung als Kinderärztin und Psychotherapeutin in einem Ambulatorium der Gesundheitskasse in Wien gearbeitet sowie in eigener Praxis.

Sie kannte die Briefe ihres Vaters: „Er hat uns jeden Brief, den er geschrieben hat, am Sonntag beim Mittagessen vorgelesen.“

Ihre eigene Überzeugung trägt sie mit Bestimmtheit vor: „Die Freiheit ist für mich lebenswichtig. Es zahlt sich daher aus, für die Freiheit zu sterben.“

Auf die Frage, was Freiheit für sie konkret bedeutet, erklärt Mayrhofer-Berger: „Freiheit beginnt bei der Gleichberechtigung für alle. Ich weiß, dass ich als Akademikerin und Oberärztin im Spital anders angesprochen wurde als andere. Daher war es mir wichtig, dass auch die Stationsgehilfin bei den Besprechungen dabei ist. Jeder Mensch hat das Recht, von anderen Menschen gleichwertig angesehen zu werden.“

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Mira Mayrhofer, die Enkeltochter von Moritz Margulies.

Freiheit der eigenen Meinung

Mira Mayrhofer, die Enkeltochter von Moritz Margulies, 1991 in Wien geboren, arbeitet als promovierte Kommunikationswissenschafterin an der Universität Wien. Freiheit bedeutet für sie, „ohne Angst meine Meinung äußern zu können, zu meinen Grundwerten zu stehen und auch dazu, wer ich bin“. Es schreckt sie, „wenn ich höre, dass in den USA Menschen ihren Aufenthaltstitel verloren haben, nur weil sie einen Witz gepostet haben“.

Essenziell ist für sie auch: „Es gehört für mich auch zur Freiheit, dass die Grundbedürfnisse eines Menschen, also Essen und Wohnen, gedeckt sind. Ich finde es zynisch, wenn jemanden gesagt wird, du hast ja eh alle Freiheiten, wenn diese Person aber 70 Stunden pro Woche arbeiten muss, um über die Runden zu kommen.“

An dieser Stelle schließt sich ein Kreis: Ihr Großvater würde ihr in diesem Punkt wohl zustimmen.

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