Wien gibt Lesestoff: Eine erlesene Runde zu Orten der Weltliteratur

Strudlhofstiege
Von „Strudelhofstiege“ bis „Heldenplatz“ – Wien bietet die Bühne für große Klassiker. Wir erkunden einige Schäuplatze.

Viel ist hingesunken uns zur Trauer und das Schöne zeigt die kleinste Dauer. Dieses Gedicht von Heimito von Doderer leitet eines der bedeutendsten Werke der österreichischen Literatur ein: Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre (1951). Der Roman ist heute mindestens so berühmt wie das 1910 eröffnete Jugendstil-Juwel selber, weshalb sich an dessen Fuße auch das Doderer-Poem befindet – seit 1962.

Ehre, wem Ehre gebührt. Die Strudlhofstiege ist auch Startpunkt für eine kleine Reise zu einigen Wiener Schauplätzen der Weltliteratur.

Die Treppenanlage am Alsergrund ist in Doderers Roman zentraler Ort für entscheidende Begegnungen in der Handlung. Und auch der Schöpfer der Stiege wird gewürdigt, da er gezeigt habe, dass jeder Weg seine eigene Würde hat und auf jeden Fall immer mehr ist als das Ziel.

Die Augartenbrücke: Hier beginnt Schnitzlers „Reigen“.

Die Augartenbrücke: Hier beginnt Schnitzlers „Reigen“. 

Unser nächster Weg führt zur Augartenbrücke: In Arthur Schnitzlers Skandal-Drama Reigen (1912) findet hier die erste Szene statt – Die Dirne und der Soldat: Geh, bleib jetzt bei mir. Wer weiß, ob wir morgen noch’s Leben haben. Mit diesen Worten lockt das Mädchen Leocadia den Soldaten zum Schäferstündchen unter die Brücke. Und schon damals galt: Wenn wir da ausrutschen, liegen wir im Wasser unten. In jenem des Donaukanals nämlich.

Brigittakapelle: Erster Auftritt von Grillparzers „armen Spielmann“.

Brigittakapelle: Erster Auftritt von Grillparzers „armen Spielmann“.

Daher ziehen wir rasch nordwärts in den Forsthauspark zur Brigittakapelle, der der Nationaldichter Franz Grillparzer ein Denkmal gesetzt hat: Die Novelle Der arme Spielmann (1848) beginnt nämlich ebendort mit dem Brigittenkirchtag, wo Aufruhr in der gutmütig ruhigen Stadt entsteht.

Riesenrad im Prater: Harry Lime war 1948 (für den Film) dort.

Riesenrad im Prater: Harry Lime war 1948 (für den Film) dort.

Spionagethriller im Prater

Der glücklose Geiger ist übrigens auch in der nahen Spielmanngasse verewigt, aber uns zieht es schon weiter in den Prater. Wer kennt sie nicht, die ikonische Filmszene vor dem Riesenrad, wo in Der dritte Mann Harry Lime (Orson Welles) die berühmte „Kuckucksuhr-Rede“ hält? Italien habe zwar Krieg und Mord gehabt – dafür Michelangelo und da Vinci; die Schweiz hingen immer nur Frieden – dafür auch bloß the cuckoo clock, sinniert Lime. Das Drehbuch des Nachkriegsthrillers basiert auf dem gleichnamigen Roman von Graham Greene (1950 erschienen).

Lange Gasse 29: Den Balkon des Zauberkönigs gibt es noch.

Lange Gasse 29: Den Balkon des Zauberkönigs gibt es noch.

Von der Unterwelt marschieren wir weiter in die Josefstadt, wo Ödön von Horváths Stück Geschichten aus dem Wiener Wald (1931) in der stillen Straße seinen Dreh- und Angelpunkt hat. Die stille war in echt die Lange Gasse (5), wie der Autor selbst einmal verriet. Fleischhauer, Puppenklinik und Trafik gibt es heute dort zwar nicht mehr – wohl aber bei Haus Nr. 29 den Balkon des Zauberkönigs. Und dank neuer Begegnungszone ist die Gasse nicht nur lang, sondern auch still. Und ein Bonmot ist wohl immer noch gültig: Wer heutzutag vorwärts kommen will, muss mit der Arbeit der anderen arbeiten.

Volksgarten: Prof. Schuster rechnet in „Heldenplatz“ mit Österreich ab.

Volksgarten: Prof. Schuster rechnet in „Heldenplatz“ mit Österreich ab.

Uns zieht es aber schon weiter in den Volksgarten, wo die zweite Szene von Thomas Bernhards Aufreger-Stück Heldenplatz (1988) spielt. Hier, auf einer der Parkbänke, spricht Professor Schuster auch den legendären Satz von den sechseinhalb Millionen Debilen und Tobsüchtigen aus, die ununterbrochen aus vollem Hals nach einem Regisseur schreien.

Palais  Ephrussi am Schottentor mit spannender Historie.

Palais  Ephrussi am Schottentor mit spannender Historie.

Vom Volksgarten ist es auch nicht mehr weit zu unserer letzten Station, dem Palais Ephrussi am Schottentor, um das sich Edmund de Waals historischer Familienroman Der Hase mit den Bernsteinaugen (2011) dreht: Es geht (auch) um Arisierung und eine fabelhafte Sammlung von Mini-Figuren. Und es fällt der wunderbare Satz: Das Beobachten von Häusern ist eine Kunst.

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