Folteropfer Bakary J. wird hingehalten

Zwei Männer sitzen vor einem Bücherregal.
Entschädigungsverfahren stockt, Anwalt will Republik klagen.

Vier WEGA-Beamte foltern den Asylwerber Bakary J. Wie entschädigt die Republik das Opfer? Eine endgültige Antwort gibt es nicht, nur eine vorläufige. Die lautet: Sie hält den Mann seit Monaten hin und speist ihn mit einer Akontozahlung ab.

Bakary J. wirkt an diesem Nachmittag, als ihn der KURIER besucht, müde. Seinen Kopf trägt er gesenkt, er blickt ins Nirgendwo, seine Arme baumeln kraftlos an seinen Schultern. Er erzählt vom Sonntag, als er „nicht mehr aufstehen konnte“. Ein Stich im Rücken, „Schmerztherapie“, empfahl der Arzt.

Das ist nur eine kleine Folge der Misshandlungen durch die Polizisten, die ihn im April 2006 in einer Lagerhalle in Wien-Leopoldstadt gequält haben. Noch immer, sagt er, kommen die Bilder hoch: Tritte, Schläge, Hiebe, die Scheinhinrichtung (siehe Chronologie).

Für das grobe Fehlverhalten der Polizisten haftet der Staat. Im November des Vorjahres leitete J.s Anwalt Nikolaus Rast ein Amtshaftungsverfahren ein. Mit der Abwicklung ist der Anwalt der Republik, die Finanzprokuratur, betraut. Die gute Nachricht erhielt Rast postwendend: Die Behörde erkenne einen Anspruch an. Allerdings nicht die „pauschal geltend gemachte Forderung“. Seitdem herrscht Stillstand.

Rast hatte sich die Latte sehr hoch gelegt: 750.000 Euro Schmerzensgeld forderte er medienwirksam für Bakary J. und dessen leidgeplagte Familie. War das ungeschickt? „Das steht meinen Mandanten zu“, sagt Rast. Wäre es nach seinem Drehbuch gegangen, dann hätte die Gegenseite einen Vergleich angeboten. Der im Mai von der Behörde angekündigte „Regulierungsvorschlag“, der nur noch „chefärztlich“ geprüft werden müsse, trudelte aber nie ein.

Rast will deshalb für seine Mandanten den Prozessweg bestreiten. „Die Familie hat sehr gelitten. Dass man sie so hinhält, ist mehr als bedenklich.“ Alles nur Säbelrasseln? „Wenn sich diese Woche nichts tut, klage ich.“

Gutachten

Ein Mann hält einen weißen Gegenstand vor sein Gesicht.
APAHKT01 - 14042006 - WIEN - OESTERREICH: ZU APA 191 CI - Der angeblich misshandelte Schubhaeftling Bakary J., lt. Angaben der Ehefrau aufgenommen am 08.04.2006 gegen 12:30 Uhr im Polizeianhaltezentrum am Hernalser Guertel in Wien. APA-FOTO: PRIVAT
Der Knackpunkt ist die Berechnungsgrundlage der Forderung. Rast ließ zwei Gutachten erstellen. Die Psychologin Eva Schrank diagnostizierte: „Heute noch sind die Symptome so stark“ wie 2006. J. sei schwer traumatisiert. Gerichtsmediziner Christian Reiter dokumentierte die vielen (Gesichts-)Frakturen und daraus resultierende Spätfolgen. Rast zog die Tagsätze für „schwere Schmerzen“ heran, rechnete sie vom Tatzeitpunkt bis Verfahrensende hoch. Für die Finanzprokuratur ist das nicht bindend. Begründung: Dies seien Privatgutachten. Rast sieht das anders: „Die sind mit dem Innenministerium abgesprochen.“ Aus dem Topf der Behörde wird übrigens auch das Schmerzensgeld fließen.

Ein Ministeriumssprecher dementiert das. Es habe keine Absprache gegeben. „Die Gutachter wurden uns nur namentlich bekannt gegeben.“ Das Verfahren führe die Finanzprokuratur. Und gebetsmühlenartig wird beigefügt: Man werde sich das Schmerzensgeld im Regressweg von den Ex-Polizisten zurückholen.

Nach elfmonatiger Verfahrensdauer hieße dies nun zurück an den Start. Die Finanzprokuratur will neue Sachverständige bestellen. „Wir wollen eine objektive Grundlage schaffen“, erklärt deren Präsident Wolfgang Peschorn. „Eine Weigerung“ habe es nie gegeben, das zeige schon die Vorauszahlung, die geleistet worden sei.

Den Betrag von 50.000 Euro fraßen die Schulden auf, die die Familie in ihrer prekären Situation angehäuft hatte. Bei Rast stapeln sich die Honorarnoten der Therapeuten. Ohne deren Hilfe, sagen J. und seine Frau, „wären wir verloren“.

Der Gambier Bakary J. kommt 1997 in Graz an, sucht um Asyl an und heiratet drei Jahre später eine Österreicherin. Das Paar hat zwei Kinder. Das Asylverfahren läuft noch, als er im April 2004 wegen Besitzes von Suchtgift und der Absicht, es zu verkaufen, zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wird. Am 31. März 2006 wird er aus der Haft entlassen und soll – ohne vorherige Ankündigung – Anfang April 2006 abgeschoben werden.

Die Abschiebung scheitert. Der belgische Pilot weigert sich, den tobenden J. mitzunehmen. Am Weg zurück ins Polizeigefängnis wird er in einer Lagerhalle malträtiert. Im AKH erzählen die WEGA-Beamten, J. hätte sich bei einem Fluchtversuch verletzt. Im Juli 2006 erhebt die Wiener Staatsanwaltschaft Anklage gegen die vier Beamten, die ein Geständnis ablegen. Das Urteil fällt milde aus: Wegen Quälens eines Schutzbefohlenen werden drei WEGA-Beamte zu acht Monaten bedingter Haft und der vierte zu sechs Monaten bedingt verurteilt. Im April 2012 werden drei Polizisten aus dem Dienst entlassen. Spät, aber doch, entschuldigt sich das Innenministerium im Mai 2012 für die Vorfälle. Die Behörde hebt im Juli 2012 das Aufenthaltsverbot gegen J. auf.

Dezember 2012: Der Gambier strebt ein Amtshaftungsverfahren an.

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