„A Kutscher kann a jeder werd’n“

„A Kutscher kann a jeder werd’n“
Das gibt’s nur bei uns. Serie Teil 1. Aus dem neuen Buch von Georg Markus. Heute: Wie das Fiakerlied entstand

Nichts und niemand hat Wiens Fiaker so populär gemacht wie das Fiakerlied des Wiener Kaufmanns und Hobbykomponisten Gustav Pick. Und das kam so: Eine alte Wiener Verordnung hatte es den Fiakern verboten, auf einem Standplatz zu stehen. Ihre Pferde mussten im Stall auf Kundschaft warten, was als bürokratische Schikane empfunden wurde. 1785 wurde den Kutschern endlich gestattet, öffentliche Standplätze zu beziehen. Damit hatte man für Fahrer und Kunden eine gewaltige Erleichterung geschaffen.

Ein passendes Lied

Genau 100 Jahre später, im Frühjahr 1885, wollte die Wiener Fiakerzunft das Jubiläum der Genehmigung ihrer Standplätze feiern. Was fehlte, war ein passendes Lied.

Der auf der Wieden wohnende Gustav Pick, der zu seinen Berufsterminen gerne im Fiaker fuhr, schuf es. Das Fiakerlied entstand, wie alle seine Werke: Da Pick keine musikalische Ausbildung hatte, klimperte er am Klavier eine Melodie, die ihm gerade einfiel, und sein Freund Dr. Ronsburger schrieb diese in Noten nieder. Nachdem er auch einen passenden Text gefunden hatte, vermutete Pick, wieder ein Lied komponiert zu haben, das wie alle seine anderen kaum Beachtung finden würde.

Die Zugkraft der Musik

Doch er sollte sich täuschen. Wenige Tage nachdem das Lied entstanden war, kam der mit ihm befreundete Graf Hans Wilczek in seine Wohnung. Er sah die Notenblätter auf Picks Schreibtisch liegen und ließ sich Text und Melodie vorspielen. Wilczek erkannte sofort, wie treffend die Wiener Fiaker charakterisiert wurden und auch die Zugkraft der Musik.

Das war der Schlager, den Wilczek für ein Fest in der Wiener Rotunde gesucht hatte. Der Reingewinn der Veranstaltung sollte der von ihm gegründeten Wiener Rettungsgesellschaft zugutekommen. Wilczek schlug vor, dass das Lied vom Volksliebling Alexander Girardi aus der Taufe gehoben würde. Doch Girardi gefiel das Lied nicht. Erst nach längerer Gegenwehr ließ er sich dazu überreden und sollte damit einen der größten Erfolge seiner Laufbahn feiern.

Zu diesem Zeitpunkt war bereits ein großes, von der umtriebigen Fürstin Pauline Metternich organisiertes Praterfest in Vorbereitung. Mit diesem Lied im Köcher war klar, dass es im Zeichen des 100-Jahr-Jubiläums der Wiener Fiakerzunft stehen würde. Am 24. Mai 1885 kam es in der Rotunde zur Uraufführung. Girardi fuhr als Fiaker verkleidet im offenen Zweispänner vor, entstieg der Kutsche und sang das Lied vor Tausenden Gästen, darunter vielen Fiakern.

I führ zwa harbe Rappen

Die erkannten sofort, dass ihr Berufsstand durch dieses Lied eine einzigartige Aufwertung erfahren würde:

I führ zwa harbe Rappen,

Mein Zeugl steht am Grab’n,

A so wie dö zwa trappen,

Wern S’ net viel g’sehn hab’n...

A Kutscher kann a jeder wer’n,

Aber fahren, des kennan s’ nur in Wean.

Mein Stolz is, i bin halt an echt’s Weanakind,

A Fiaker, wie man net alle Tag find.

Mein Bluat is so lüftig und leicht wia der Wind,

I bin halt an echt’s Weanakind.

Gustav Pick war wie so viele Wiener kein „echt’s Weanakind“, er war als Sohn eines Kaufmanns im heute burgenländischen, damals ungarischen Rechnitz zur Welt gekommen. In Wien arbeitete er als Börsenmakler, doch seine Liebe gehörte seinen künstlerischen Neigungen. Er war mit einer Wienerin verheiratet, die ihm zwei Söhne schenkte, aber im Alter von nur 22 Jahren starb.

Ein Geniewurf

Als Hobbykomponist hat Gustav Pick im Lauf seines Lebens viele Lieder geschrieben, die jedoch, abgesehen von seinem Geniewurf, alle unbekannt blieben.

Als das Fiakerlied nach der dritten Zugabe in der Rotunde verklungen war und der Beifallssturm noch immer nicht enden wollte, ging Girardi beschämt und gerührt auf Pick zu und drückte ihm die Hand – als wollte er sich dafür entschuldigen, die Kostbarkeit dieses Wiener Kleinods nicht erkannt zu haben. Pick hat nie einen Kreuzer an seinem Jahrhundertschlager verdient, Tantiemen im heutigen Sinn kannte man damals nicht, und das Geld vom Verkauf der Notenblätter überließ er der Rettungsgesellschaft.

Bald entdeckten „Die Schrammeln“ das urwienerische Lied für sich und formten es durch ihre Interpretation zur Wiener Hymne. Das Fiakerlied wurde später durch Paul Hörbiger in Berlin populär, es gibt eine englische („I have two little horses, the Graben is my stand“), eine tschechische und eine türkische Version, aber in der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Aufführung infolge Picks jüdischer Herkunft verboten. Mit dem Hinweis, der im Völkischen Beobachter vom 10. August 1942 nachzulesen ist: „So fröhlich kann das monotone Fiakerlied des unbegabten Juden Gustav Pick gar nicht gesungen werden, dass der deutschblütige Wiener nicht instinktiv gegen jeden rassisch minderwertigen Einfluss protestiert.“

Kein Taxameter

Als das Fiakerlied nach Girardis Uraufführung die Runde machte, gab es in Wien rund 1000 Fiaker – doch waren sie damals nicht sonderlich beliebt. Was in erster Linie daran lag, dass es weder einheitliche Taxen noch „Taxameter“ gab, jeder Fahrer konnte verlangen, was er wollte. „Mir werd’n kan Richter brauchen“, war die übliche Reaktion der Fuhrleute, wenn ein Gast das geforderte Fahrgeld nicht zahlen wollte, danach kam es nicht selten zu verbalen, mitunter sogar zu tätlichen Auseinandersetzungen.

Das letzte Geleit

Das Fiakerlied verbesserte das Image der Zunft erheblich, „der Kutscher und sei Zeugl“ wurden in neuem Licht gesehen und erfreuten sich zunehmender Popularität.

Gustav Pick starb 1921 im Alter von 88 Jahren in Wien und wurde am Zentralfriedhof beigesetzt. Zu seinem Begräbnis erschienen Hunderte Fiaker in pferdebespannten Kutschen, um ihm das letzte Geleit zu geben. Sie haben nie vergessen, was Pick für ihre Zunft getan und dass er ihnen ein einzigartiges Denkmal gesetzt hatte.georg.markus

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