80 Tote: Zug raste mit 190 statt 80 km/h
Bei Santiago de Compostela im Nordwesten Spaniens hat sich am Mittwochabend ein schweres Zugsunglück ereignet. Spanische Behördenvertreter haben 80 Todesopfer bestätigt. Nach Angaben der staatlichen Bahngesellschaft Renfe hat es außerdem "kein technisches Problem" gegeben. Der am Mittwochabend kurz vor Santiago de Compostela verunglückte Zug sei noch am selben Morgen einer technischen Inspektion unterzogen worden, sagte Renfe-Präsident Julio Gomez-Pomar Rodríguez am Donnerstag dem privaten Radiosender Cadena Cope.
80 Menschenleben hat das Unglück bislang gekostet. Es sei nicht auszuschließen, dass noch weitere Tote und Verletzte gefunden würden. Etwa 200 Einsatzkräfte suchen immer noch nach möglichen Überlebenden in den Trümmern der Wagen. Die Zahl der Verletzten blieb weiter unklar, die Behörden gehen von etwa 130 aus, 20 davon schwer. Die Tageszeitung El Mundo berichtete von 143 Verletzten. Der Zug war mit mehr als 200 Fahrgästen besetzt.
In Galicien wurden Feiern zum Nationalfeiertag der autonomen Region am 25. Juli wegen des Unglücks abgesagt. Die Behörden riefen die Menschen zu Blutspenden auf.
Der Unfall auf Video
Unglückshergang
Das Unglück ereignete sich gegen 21.00 Uhr in einer Kurve nahe der Stadt Santiago de Compostela. Der Lokführer hat ausgesagt, viel zu schnell gefahren zu sein. Der Zug sei mit rund 190 Stundenkilometern unterwegs gewesen, obwohl in der Unglückskurve höchstens Tempo 80 zulässig gewesen sei, bestätigte er nach Angaben der Ermittler vom Donnerstag. Über den Grund für die überhöhte Geschwindigkeit wurde zunächst nichts bekannt.
Laut der spanischen Zeitung El País habe der Lokführer des Hochgeschwindigkeitszugs eine Verspätung aufholen wollen. Der Fahrer scheint sich der Tragweite bewusst gewesen zu sein, laut Zeitung soll er kurz nach dem Unglück der Leitstelle über Funk gesagt haben: "Ich hoffe, dass ich keine Menschenleben auf dem Gewissen habe."
Das Unglück ereignete sich in der ersten Kurve nach über achtzig Kilometern auf der Strecke zwischen Madrid und Ferrol. Schon am Tag der Eröffnung im Jahr 2011 kam es laut El Pais in der Kurve zu Problemen, damals kam ein Zug ins Schlingern. Der Streckenabschnitt sei außerdem nicht durchgängig für Hochgeschwindigkeitszüge ausgelegt, um kostenintensive Enteignungen im Stadtgebiet zu vermeiden, wurde die Trasse demnach nicht durchgängig ausgebaut.
Bilder von der Unglücksstelle
Es passierte so schnell
"Es passierte so schnell", sagte ein Überlebender dem RadiosenderCadena Ser. Der Zug habe sich in einer Kurve verdreht, danach hätten sich die Waggons aufgetürmt. "Eine Menge Menschen wurde zu Boden gedrückt. Wir haben versucht, ins Freie zu kommen, und bemerkten dabei, dass der Zug in Flammen stand. Ich habe Leichen gesehen." Ein Augenzeuge berichtete von einer Explosion, bevor er den verunglückten Zug sah.
Krisensitzung der Regierung
Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy besuchte am Donnerstag den Unglücksort. Rajoy, der selbst aus Santiago de Compostela stammt, sprach mit Rettungskräften, die weiter mit Bergungsarbeiten beschäftigt waren. Anschließend wollte Rajoy mit Verletzten im Krankenhaus sprechen.
Der an den Unglücksort geeilte Regionalpräsident von Galicien, Alberto Nunez Feijoo, sprach von einem "schockierenden" Anblick. "Das ist wie Dantes Inferno."
Papst Franziskus zeigte sich am Rande seines Brasilien-Besuchs betroffen. "Der Papst teilt den Schmerz der Familien und lädt dazu ein, zu beten und diesem tragischen Ereignis im Glauben zu begegnen", sagte Vatikan-Sprecher Federico. Lombardi.
Pilgerzentrum
Santiago de Compostela ist die Hauptstadt der autonomen Region Galicien und ein wichtiges Pilgerzentrum, das jährlich zehntausende Menschen anzieht. Am Donnerstag sollte dort ein Fest zu Ehren des Schutzpatrons von Galicien, des Heiligen Jakobs, stattfinden.
Zugfahren ist relativ sicher. Aber Unglücke auf den Schienen - so wie am Mittwoch in Spanien - haben meist verheerende Folgen. Im Folgenden eine Dokumentation einiger Unfälle in den vergangenen Jahren.
Juli 2013 - Frankreich: Am Bahnhof von Bretigny-sur-Orge springen mehrere Waggons eines Intercity-Zuges aus den Gleisen. Sechs Menschen sterben. Dutzende der 385 Reisenden in dem Zug werden verletzt.
März 2012 - Polen: 16 Menschen kommen ums Leben, als ein Interregio frontal mit einem entgegenkommenden Intercity zusammenstößt. Bei dem Unglück nahe Zawiercie, nördlich von Krakau, werden rund 50 Menschen verletzt.
Jänner 2011 - Deutschland: Zehn Menschen sterben, als ein Nahverkehrszug bei Oschersleben in Sachsen-Anhalt mit einem Güterzug zusammenstößt. Ein Lokführer soll ein Haltesignal überfahren haben.
Februar 2010 - Belgien: In Buizingen bei Brüssel übersieht ein Lokführer ein Stoppsignal, zwei voll besetzte Regionalzüge prallen zusammen. Mindestens 18 Menschen sterben, rund 80 werden verletzt.
Juli 2005: Bei einem Frontalzusammenstoß von zwei Zuggarnituren der Pinzgaubahn bei Bramberg (Salzburg) sterben ein Lokführer und eine Urlauberin aus Niederösterreich, 34 Menschen werden zum Teil schwer verletzt.
Jänner 2005 - Italien: Auf der eingleisigen Strecke Bologna-Verona prallen ein Passagierzug und ein Güterzug zusammen. 17 Menschen sterben. Ein Lokführer hatte ein Haltesignal übersehen.
Juni 2003: Bei Schrozberg in Baden-Württemberg stoßen zwei Regionalzüge frontal zusammen. Sechs Menschen sterben, 25 werden verletzt.
Oktober 2002: Im Ortsgebiet von Ebersdorf im Bezirk Melk stoßen ein Güterzug und eine mit ÖBB-Bediensteten besetzte Draisine zusammen: vier Tote und zwei Schwerletzte.
Februar 2002: Wegen eines Bremsdefektes prallen auf der Pottendorfer Linie in Wampersdorf (Bezirk Baden) ein Güterzug und eine "Rollende Landstraße" zusammen. Sechs Tote und 16 teils Schwerverletzte sind die Folge.
August 2000: Bei einem Zusammenstoß von zwei Personenzügen in Traun bei Linz werden 48 Menschen verletzt.
Santiago de Compostela, die Hauptstadt der Autonomen Gemeinschaft Galicien in Nordspanien, ist Zielort des berühmten Jakobsweges. Die Metropole mit knapp 95.000 Einwohnern wird jährlich von einer große Anzahl Reisender besucht; viele von ihnen sind Jakobspilger.
Im Jahr 2012 kamen laut Angaben des Vereins Jakobswege Österreich insgesamt 192.488 Pilger in dem Wallfahrtsort an. Aus Österreich wurden 1772 Pilger registriert. Diese Zahlen beziehen sich auf Pilger, die zu Fuß (mehr als 100 Kilometer), mit dem Fahrrad (mehr als 200 Kilometer ) oder mit dem Pferd in Santiago de Compostela angekommen sind. Nicht berücksichtigt sind Jakobspilger, die Teilstrecken in Spanien, Frankreich, Portugal und dem übrigen Europa zurückgelegt haben.
Die Stadt ist Erzbischofssitz und Standort der Universität Santiago de Compostela. Die gesamte Altstadt ist mit der Kathedrale und dem Jakobsweg als UNESCO-Weltkulturerbe ausgewiesen.
Gebeine des Jakobus
Zum Wallfahrtsort wurde Santiago de Compostela im Jahr 830 ernannt, nachdem in einem Grab gefundene Gebeine dem Apostel Jakobus zugeschrieben wurden. Santiago de Compostela gehörte neben Rom und Jerusalem zu den bedeutendsten Pilgerzielen des christlichen Mittelalters.
Auch heute fließt ein ständiger Pilgerstrom in die Kathedrale, die über dem Grab errichtet wurde. Im Inneren der Kathedrale befindet sich eine große Sitzfigur des heiligen Jakobus, die von den Gläubigen umarmt und geküsst wird.
Durch die bischöfliche und päpstliche Anerkennung der aufgefundenen Gebeine als Reliquien Jakobi gilt die Kathedrale von Santiago als Grabeskirche des Apostels Jakobus. Die armenische Jakobskathedrale in Jerusalem beansprucht jedoch, im Besitz des Schädels des Apostels zu sein.
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