Zu Gast bei Ronald Reagan

Es ist der Traum jedes Journalisten weltweit: Einmal zum Exklusiv-Interview ins
Weiße Haus geladen zu sein - Aug in Aug mit dem Präsidenten der
USA. Für
Heinz Nußbaumer, damals Außenpolitik-Chef des KURIER, wurde dieser Traum im Mai 1983 Wirklichkeit:
Ronald Reagan ließ bitten. Was dann geschah, erzählt er in seinem Buch "Meine kleine große Welt".
Alles verdanke ich zwei Freunden: Helene von Damm, Reagans Personalchefin und späteren US-Botschafterin in Österreich, und Bill Clark, dem machtvollen Sicherheitsberater des Präsidenten. Diskret und effizient haben sich die beiden als "Türöffner" für mich bewährt. Und Ronald Reagan, der eben - nur noch wenige Zimmer entfernt - mit seinen Beratern den kommenden Wirtschaftsgipfel bespricht, wird sich wohl nicht mehr erklären können, wie der nächste Termin in sein Tagesprogramm geraten ist.
Noch sitze ich bei einer Tasse Tee im Empfangsraum des Weißen Hauses und lausche dem einschläfernden Ticken einer vergoldeten Wanduhr. Alles atmet hier zurückhaltende Gediegenheit und stilvolle Kontinuität. Und sichtlich gewollt tritt zurück, was die Supermacht Amerika in den Augen der Welt auszeichnet: technischer Fortschritt, politische Größe und militärische Stärke. Das Machtzentrum ist seltsam klein, angenehm diskret und überraschend ruhig.
Im Oval Office
Irgendwann werde ich weitergebeten, durch das elegante Roosevelt-Zimmer und den Kabinettsraum mit seinen verspielten Kandelabern hinüber ins Oval Office. Als ich eintrete, stehen Amerikas mächtigste Politiker jener Jahre - Ronald Reagan, sein Vizepräsident George Bush, Sicherheitsberater Bill Clark, Außenminister George Shultz und Verteidigungsminister Caspar Weinberger - noch diskutierend am Kamin beisammen. Der Präsident, braungebrannt und im hellen Sommeranzug, löst sich aus der Gruppe, streckt mir die Hand entgegen und legt die zweite fast freundschaftlich um meinen Arm.
Fotografen sind aus dem Nichts aufgetaucht, Blitzlichter zucken. Reagans Hände bleiben so lange liegen, bis die Fotografen zufrieden sind - Hände, die alleine seine 72 Jahre verraten. Unglaublich aber, wie jung das Gesicht und die Mimik wirken. Ich denke mir: Es ist der erste Präsident Amerikas seit Jahrzehnten, dem die Jahre im Amt keine erkennbaren Wunden geschlagen haben; der erste, der offenkundig nicht unter der Last ständig neuer, weit reichender Entscheidungen leidet.
Zwangloser Präsident
Wir stehen am Fenster zum Rosengarten. Reagan spricht über Österreich und dessen Mission des Brückenbauens für Flüchtlinge, auch für den Nahostfrieden. Bruno Kreiskys Name taucht auf und bleibt eine Konstante unseres Gesprächs. Und natürlich auch der Name Helene von Damms, die schon drei Wochen später als neue Botschafterin in Wien antreten wird. Es ist nicht zu überhören: das Persönliche, das Ungezwungen-Zwanglose abseits der Fallstricke der Tagespolitik, erleichtert und erfrischt diesen Präsidenten Amerikas.
Reagan führt mich zu seinem schweren dunkelbraunen Schreibtisch, ein Geschenk von Queen Victoria aus dem Holz eines alten britischen Kriegsschiffes; zeigt mir die Bilder seiner Familie und Erinnerungsfotos an sein größtes Hobby, das Reiten. "Für das Innenleben eines Menschen gibt es nichts Besseres als den Rücken eines Pferdes", sagt er irgendwann lachend. Und: Ich möge doch schauen, dass Helene von Damm in Österreich endlich vernünftiger isst - nicht immer nur die Reste vergangener offizieller Essen.
In diesen Minuten löst sich für mich das Rätsel, warum dieser Mann trotz vieler umstrittener Entscheidungen und mancher Kritik wegen Inkompetenz, Intrigen und Führungs-Chaos der populärste Präsident der Vereinigten Staaten ist und auch nach seinem Tod im Juni 2004 bleiben wird. Als Amerika im Jahr 2011 seinen 100. Geburtstag feiert, werden Ronald Reagan endlose Elogen gesungen: als Präsident, der durch sein herzliches Wesen, seinen Optimismus und auch durch den Glücksfall seines Gegner-Partners Michail Gorbatschow nicht nur sein Land stärker, sondern auch die Freiheit weltumspannender gemacht habe.
Das Kuvert
Kaum aber schließt sich an diesem unvergesslichen Maitag 1983 hinter mir die Türe zum Oval Office, frage ich mich panisch: Und was war jetzt mein Interview? Was ist zitierbar, was nicht?
In genau diesem Augenblick kommt mir ein freundlicher Herr entgegen, Bob Sims, Ronald Reagans Pressemann, und übergibt mir ein Kuvert. Im Inneren finde ich die vom "Nationalen Sicherheitsrat" vorbereiteten "Interview-Antworten" des Präsidenten, die ich veröffentlichen darf - egal, ob sie Teil unseres Gespräches waren oder nicht. (Nur einmal, beim bayrischen Regierungschef Franz Josef Strauß, erlebe ich später eine ähnlich kuriose "Interview"-Vereinbarung).
Erst beim Verlassen des Weißen Hauses verständige ich meine Redaktion von meinem Termin beim US-Präsidenten. Die Kollegen zu Hause jubeln - aber bald zeigt sich: Die Blattmacher jener Tage sind an den Fotos meiner Begegnung mit Ronald Reagan und an der Tatsache, dass es sein erstes Exklusivgespräch mit einem europäischen Journalisten war, ohnedies weit mehr interessiert als am politischen Inhalt des "Interviews".
Der Taxifahrer, den das Weiße Haus inzwischen für mich gerufen hat, steigt bei der Rückfahrt zum Hotel mitten im Gespräch auf die Bremse, dreht sich zu mir und sagt erstaunt: "Sie waren wirklich bei unserem Präsidenten im Oval Office - Donnerwetter, das ist ja fast wie eine geglückte Mondlandung!"
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