Rassismus: "Ich kann das nicht vorlesen"

Zwei Männer sitzen in Sesseln und unterhalten sich in einem modernen Büro.
Pöbeln im Internet ist einfach. Rassistische Äußerungen laut zu äußern, bringt Litauer an ihre Grenzen.

Im Internet werden schnell mal Beleidigungen, Sticheleien oder Hasspostings verfasst und verbreitet. Aber was ist, wenn sich die Person, an die die abwertenden Äußerungen gerichtet sind, im Raum befindet? In einem Experiment sollten Bewerber einem Schwarzen Beleidigungen ins Gesicht sagen. Ein Schritt, der vielen schwer viel.

Experiment "Fremdschämen"

Mit dem sozialen Video-Projekt "Fremdschämen" (siehe unten) will das Litauische Zentrum für Menschenrechte (LZTS) auf den offenen Rassismus im Internet aufmerksam machen. Dafür wurden ahnungslose Protagonisten unter dem Vorwand, sie bewerben sich als Darsteller für einen Werbespot, mit versteckter Kamera gefilmt.

Minderheiten mit Hass und Gewalt zu begegnen ist einfach, wenn man sich unter dem Schleier der Anonymität verstecken kann. Aber herabwürdigende Aussagen laut auszusprechen und jemandem dabei direkt in die Augen zu sehen, ist weitaus schwieriger.

Morddrohung

Im Video ist zu sehen, wie die eingeladenen Litauer zunächst auf einem Sofa Platz nehmen und warten. Ihnen gegenüber sitzt ein Schwarzer, der sich ebenfalls für die Stelle beworben hat. Nachdem er - in Wahrheit natürlich ein Schauspieler - die einzelnen Bewerber freundlich begrüßt hat, fragt der vermeintliche Mitbewerber, ob sie ihm Nachrichten von seiner privaten Facebook-Seite ins Englische übersetzen könnten. Er ist erst seit Kurzem in Litauen und der Landessprache nur mäßig mächtig.

"Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir das übersetzen will."

Als die jungen Litauer begreifen, was sie da lesen, wird aus Hilfsbereitschaft Hilflosigkeit: "Wer hat dir das geschrieben?", "Kennst du diesen Mann?", fragen sie ungläubig. Einige weigern sich, das Geschriebene auszusprechen: "Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir das übersetzen will". Es sei ziemlich schwierig dem Mann die Zeilen vorzulesen und ihm dabei in die Augen zu sehen, erwähnt einer der Protagonisten. "Nein, ich kann nicht."

Erst nach langem Zögern willigen manche Litauer ein, dem Wunsch des erst kürzlich zugezogenen Mannes nachzugehen:

"Willst du das wirklich hören?"
"Ja. Ich glaube, dass es besser ist, es zu wissen."
"Ok, aber ... ok. Wirst du das sehr persönlich nehmen oder nicht?"
"Ich weiß es nicht. Ich bin ja erst vor zwei Wochen hierher gekommen."
"Also es ist rassistisch. Es ist wirklich schlimm. Und ich ... ich mag das nicht. Ok. Ich werde versuchen, dir diese Worte zu sagen."

Der "Affe" soll gefälligst "zurück nach Afrika" verschwinden, weil sein "Gestank" nicht nach Litauen gehöre. Und wenn er das nicht kapiert, werden sie ihn erwischen und aus seiner "Sklavenhaut Schuhe machen". In den Gesichtern der Beteiligten spiegelt sich Scham, Qual und Verzweiflung wieder. Sie entschuldigen sich für diesen Müll voller Hass: "Es tut mir wirklich leid. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll."

Großes Problem in Litauen

Das mehr als fünfminütige Video zeigt, wie groß das Problem Fremdenfeindlichkeit im baltischen Staat ist. Tausende Menschen werden tagtäglich wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert, heißt es auf der Webseite des LZTS (hier eine deutsche Übersetzung). Auch weil Menschen homosexuell sind, an einen anderen Gott glauben, oder schlichtweg anders denken, werden sie mit purem Hass konfrontiert.

Die litauische Autorin Justina Bakutyte glaubt, dass der Fremdenhass in Litauen auf die russische Besetzung zurückzuführen ist. In diesen 50 Jahren (1944-1990) hätte es einfach keine anderen Rassen und sexuellen Neigungen geben dürfen. "In diesem Thema sind wir sehr ungebildet."

Mithilfe eines digitalen Handbuchs vom LZTS werden den Litauern Tipps gegeben, wie sie Rassismus bekämpfen können. Die Ratschläge sollen aber über die baltischen Grenzen hinausgehen. Denn nicht nur in Litauen ist der Rassenhass im Internet ein Problem. Am Montag wurde ein 36-jähriger Wiener wegen Verhetzung auf Facebook verurteilt. Der Frühpensionist bezeichnete Muslime unter anderem als "Unkraut, das vernichtet gehört" (der KURIER berichtete).

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