Verwandlungskünstler Arafat

Verwandlungskünstler Arafat
Serie Teil 4: Heinz Nußbaumer über seine vielen Begegnungen mit PLO-Chef Yasser Arafat, einer Zentralgestalt der Weltpolitik.

Nahezu vier Jahrzehnte lang ist PLO-Chef Yasser Arafat eine Zentralgestalt der Weltpolitik: Umstritten, ja gehasst - und doch Anwalt einer gerechten Sache: des Heimatrechts der Palästinenser. Im Ringen um die Anerkennung seiner PLO ist Österreich unter Kreisky und Waldheim ein wichtiger Mitspieler - und Heinz Nußbaumer, 25 Jahre Außenpolitiker des KURIER, ein Vertrauter und stiller Briefträger. Über seine vielen Begegnungen mit Arafat erzählt er in seinem neuen Buch "Meine kleine große Welt". Hier ein kurzer Auszug.

Mehr als zwei Jahrzehnte lang ist es das immer gleiche Ritual, ob im umkämpften Beirut, im revolutions-fiebrigen Amman, in Algier, Tunis und anderswo: Da ist zunächst eine schwierige Anfahrt mit mehrfachem Routen- und Autowechsel. Immer sind da dunkle Straßen, dunkle Gänge, dunkle Begleiter. Und schließlich, irgendwo versteckt, das Wiedersehen mit einem seltsam entspannt, ja fast zeitlos wirkenden Yasser Arafat. Ein Ritual von Umarmungen und persönlichen Nachfragen - selbst wenn draußen die Welt in Trümmer fällt.

Und dazu dieser oft wahnwitzig erscheinende Optimismus: "Also gut, jetzt machen wir beide eine Geschichtsstunde", sagt mir der übermüdete, unrasierte PLO-Chef in einem Keller mitten im libanesischen Bürgerkrieg. "Wo sind die Kreuzfahrer heute im Nahen Osten? Und wo ist Hitler in Russland? Wo sind die Franzosen in Algerien? Und wo die Spanier in Lateinamerika? Wo sind die Amerikaner in Vietnam - und wo das ganze britische Empire? Weg sind sie alle, vom Wind verblasen! Und warum? Weil sie gegen die Wellen der Geschichte unterwegs waren! Wir Palästinenser aber gehen mit der Geschichte - unsere Sache ist gerecht und heilig. Niemand kann uns die Heimat auf Dauer wegnehmen. Wir sind zum Frieden bereit, aber wir sind keine Schmeichelkätzchen. Wir sind Tiger - und überleben jeden Taifun!"

Wie oft ich Arafat getroffen habe? Oft. Auch in Palästen am Arabischen Golf, in Hotels in Europa, im New Yorker UNO-Hauptquartier. Irgendwann nennt mich einer seiner Begleiter "Abu Zakzouka" (Vater des Bärtchens) - Arafat übernimmt es und bleibt dabei, über viele Jahre hinweg.

"Ein friedliches, neutrales Palästina - so wie Österreich", das ist Arafats oft wiederholter Traum. Auch unter schlimmsten Vorzeichen ist da zuerst seine Frage nach Kurt Waldheim und vor allem nach Bruno Kreisky. Beide haben seiner PLO enorm geholfen, und beide dafür auch massiv gebüßt: Eine der Wurzeln für die Causa Waldheim liegt in Arafats spektakulärem Auftritt vor den Vereinten Nationen (November 1974) unter UNO-Generalsekretär Waldheim.

Verwandlungskünstler Arafat

Und die Anschläge radikaler, Arafat-feindlicher Palästinenser auf österreichischem Boden - vor allem aus dem Kreis um Abu Nidal - sind letztlich auch eine Bestrafung für Kreiskys Unterstützung der PLO und für seine Bemühungen um einen Nahost-Friedensdialog.
Dabei geht Kreisky schon aus seiner ersten Begegnung mit Yasser Arafat (1974 in Kairo) mit einer tiefen Skepsis: Der Kanzler hält ihn für schwach, unaufrichtig und eine typische Kompromissfigur ("Da spür` ich kein Gewicht!"). Und obwohl beide später oft das Wort "Freundschaft" bemühen, bleibt das Verhältnis recht unausgewogen: Hier der friedenssüchtige, bisweilen auch väterlich-strenge, ja verärgerte Kanzler, der versucht, die PLO aus ihrer Illegalität herauszuholen, sich aber über Arafat keine Illusionen macht. Dort der dankbare, bittende, oft schlitzohrige PLO-Chef, um Verständnis und Unterstützung bettelnd: "In unseren Flüchtlingslagern ist ein Heer von Verzweifelten, das von Geheimdiensten aller Art missbraucht wird, um dann uns zu Mördern zu stempeln."

Kreiskys Einschätzung Arafats als Manövrierkünstler und Jongleur erweist sich letztlich als tragisch richtig. Bis zu seinem Tod bleibt der PLO-Chef zwischen Extremen gefangen: Hier Revolutionär und Terrorist, dort Staatsmann, ja Friedensnobelpreisträger. Hier aggressiv, dort warmherzig - ein Mann, gebrochen und zerbrochen an den inneren Widersprüchen Arabiens, an Israels Dialogverweigerung und an der Zerrissenheit der Palästinenser.

Wie viele Tode ist Yasser Arafat gestorben - gehetzt und verraten, belagert, eingekesselt und in die Flucht gebombt. Wie oft ist er Ziel von Attentaten nahöstlicher Geheimdienste und inner-palästinensischer Verschwörungen. Wie oft gilt er als politisch erledigt und nicht mehr zu retten. Am Ende aber stirbt er doch fern der Heimat in einem französischen Krankenhausbett.

Wie er das eigentlich schaffe, all jene zu umarmen und zu küssen, die gestern noch seine Todfeinde waren und es vielleicht morgen wieder sein werden, frage ich Arafat einmal. Seine Antwort ist umwerfend - und umwerfend ehrlich: "Wenn Ihnen das ein Problem ist, dann verstehen Sie die arabische Welt doch nicht", lacht er. "Diese Region ist wie eine Wanderdüne.

Der Wind bläst von hier - und verändert die Landschaft. Der Wind bläst von dort - und verändert sie wieder. Die einfachen Menschen hier haben keine Probleme miteinander. Konflikte haben nur die Führungen. Was gegeneinander prallt, das sind Machtinteressen - die sind nie auf Dauer angelegt. Also wollen uns heute irgendwelche israelischen, syrischen, irakischen, libyschen oder andere Agenten töten. Wenn wir aber überleben, dann werden wir morgen wieder mit ihren Auftraggebern zusammensitzen. Eines Tages wird das auch mit Israel so sein, so sein müssen!"

Eine Wanderdüne ist Yasser Arafat auch selbst. Zwischen Ölzweig und Maschinengewehr, zwischen heroischem Freiheitskampf und dumpfem Terror-Image, zwischen der Rechtmäßigkeit seiner politischen Forderungen und der Fragwürdigkeit seiner Kampfmittel. Bis zu seinem Ende ist Arafats Leben ein Seiltanz, ständig gefährdet von inneren Rivalitäten, von Macht- und Flügelkämpfen arabischer Regime und von permanenter Neuaufladung palästinensischer Radikalität durch Israels Siedlungspolitik und Dialogverweigerung.

So bleibt Yasser Arafat in der Erinnerung die zugleich schillernde und tragische Vaterfigur eines künftigen Palästina.

Heinz Nußbaumer "Meine kleine große Welt" styria premium, 320 Seiten, 24,99 Euro

Kommentare