Zwangseinschulung war "kultureller Völkermord"

Der Ureinwohnerverband fordert Kanadier zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte auf.

Der Ureinwohnerverband First Nations hat die zwangsweise Einschulung von Kindern kanadischer Ureinwohner als "kulturellen Völkermord" bezeichnet. Vor der Vorstellung eines Berichtes der Kommission für Wahrheit und Versöhnung am Dienstag sagte Verbandschef Pierre Bellegarde, "in der Sprache der damaligen Zeit war es Assimilierung. In der Sprache des 21. Jahrhunderts ist es kultureller Völkermord".

Zuvor hatte Beverly McLachlin, Richterin an Kanadas Oberstem Gerichtshof, die bis in die 1990er-Jahre betriebene Praxis bereits ähnlich bezeichnet.

Sexueller Missbrauch

In Kanada wurden seit dem späten 19. Jahrhundert mehr als 150.000 Kinder von Indianern und Inuit sowie Mestizen von ihren Familien und somit ihren kulturellen Wurzeln getrennt. Die Kinder landeten anschließend in Heimen, die häufig von der Katholischen Kirche betrieben wurden. Viele von ihnen erlitten dabei Misshandlung und sexuellen Missbrauch.

Die Kommission für Wahrheit und Versöhnung befragte für ihren Bericht etwa 7.000 der rund 80.000 noch lebenden Opfer der Zwangseinschulung. Bellegarde bezeichnete es als wichtig, ihr damaliges Leiden anzuerkennen sowie ihnen und ihren Familien bei der Bewältigung der traumatischen Erfahrung beizustehen. Nur wenn die Kanadier sich mehr mit den Ereignissen auseinandersetzten, könnten sie "offen für eine wahre Versöhnung" sein, sagte Bellegarde.

Alkoholismus wegen Assimilierung

Unter den Ureinwohnern Kanadas grassieren bis heute Alkoholismus und eine erhöhte Suizidrate. Die Verantwortlichen der First Nations führen dies zumindest teilweise auf die Assimilierungspolitik zurück. Der Großteil der Heime wurde in den 1970er-Jahren geschlossen, das letzte in der zentral gelegenen Provinz Saskatchewan erst 1996.

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