Tote bei Hadsch: Vorwürfe gegen Behörden

Über 700 Menschenleben hat eine Massenpanik bei der muslimischen Pilgerfahrt Hadsch in Saudi-Arabien am (gestrigen) Donnerstag gefordert. Nun haben Überlebende Vorwürfe gegen die Behörden erhoben. "Es gab nicht genügend Raum, um sich zu bewegen", schilderte der nigerianische Pilger Aminu Abubakar am Freitag. Er selbst überlebte, weil er an der Spitze der Prozession in Mina nahe Mekka gelaufen war.
Der Libyer Ahmed Abu Bakr berichtete, die Polizei habe vor der Massenpanik, bei der Donnerstagfrüh mindestens 717 Pilger getötet wurden, alle Zuwege zum Zeltlager der Pilger bis auf einen geschlossen. Zudem hätten die zur Absicherung der Pilgerfahrt eingesetzten Polizisten einen überforderten Eindruck gemacht: "Sie kannten sich in der Gegend überhaupt nicht aus."
Irfan al-Alawi von der Stiftung zur Erforschung des islamischen Erbes in Mekka kritisierte, die Polizisten seien nicht ausreichend vorbereitet und hätten keinerlei Sprachkenntnisse, um mit denen aus aller Welt kommenden hunderttausenden Pilgern zu kommunizieren. "Sie haben keine Ahnung, wie sie mit den Leuten umgehen sollen", sagte al-Alawi. "Die Menschenmenge wird nicht gesteuert."
- Über 700 Tote bei Massenpanik nahe Mekka
- Mehr als 100 Tote bei Kran-Sturz in Mekka
-
Bilder: Kran-Unfall in Mekka
Unterdessen schieben einander Saudi-Arabien und der Iran gegenseitig die Schuld an der Katastrophe zu. So macht die saudische Presse iranische Pilger für das tödliche Gedränge verantwortlich. Irans oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei erklärte hingegen, "schlechte Koordinierung und unüberlegtes Handeln" der saudischen Behörden wären schuld (mehr dazu unten).
Kein Hinweis auf österreichische Opfer
Auf österreichische Opfer hat es bisher keinen Hinweis gegeben. Wie Außenamtssprecher Martin Weiss am Freitag betonte, nehmen alljährlich etwa 1.500 österreichische Pilger teil, insgesamt seien es 1,5 Millionen Pilger.
Die österreichischen Behörden seien allerdings mit dem Honorarkonsulat in Jeddah in Kontakt, denn betroffene Österreicher könne man "nicht ganz ausschließen". Bei der Massenpanik in dem Ort Mina bei Mekka in Saudi-Arabien waren am Donnerstag nach offiziellen Angaben mindestens 717 Pilger gestorben, mehr als 860 weitere wurden verletzt, berichtete die dpa. Es war die schlimmste Katastrophe bei der islamischen Mekka-Wallfahrt seit einem Vierteljahrhundert.
Gedränge bei Teufelssteinigung
Zu dem Massengedränge war es während der symbolischen Teufelssteinigung in Mina gekommen, bei der Pilger Kieselsteine auf drei Säulen werfen, die den Teufel symbolisieren. Ein Sprecher des saudi-arabischen Innenministeriums erklärte, zu dem Unglück sei es gekommen, als zahlreiche Pilger an einer Straßenkreuzung unterwegs waren. Zur großen Zahl an Todesopfern habe zudem die große Hitze mit rund 46 Grad Celsius am Donnerstag beigetragen.
Die Behörden waren am Freitag noch immer dabei, die Toten zu zählen. Nach iranischen Angaben waren allein 131 Iraner unter den Opfern, weitere Opfer kamen aus Indien, Indonesien, der Türkei und Pakistan. Der Hadsch ist das weltweit größte muslimische Pilgerereignis. Gemäß dem Koran muss jeder Muslim, der gesund ist und es sich leisten kann, einmal im Leben zur heiligsten Stätte des Islam in Mekka pilgern.

Saudi-Arabien und der Iran geben sich gegenseitig die Schuld an der tödlichen Massenpanik. Die saudische Presse machte am Freitag iranische Pilger für die Katastrophe verantwortlich. Irans oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei erklärte hingegen, "schlechte Koordinierung und unüberlegtes Handeln" der saudischen Behörden wären schuld.
Erzrivalen
Das sunnitische Saudi-Arabien und der schiitische Iran sind Erzrivalen in der Region. Sie unterstützen in den Bürgerkriegen in Syrien und im Jemen jeweils unterschiedliche Konfliktparteien. Saudi-Arabien lehnt zudem das Atomabkommen mit dem Iran ab.
Die saudische Nachrichtenseite Al-Sabq meldete am Freitag, eine große Gruppe von Iranern sei entgegen der Vorgaben in eine falsche Richtung gelaufen und dort mit anderen Pilgern zusammengestoßen. Sie berief sich dabei auf nicht näher genannte Augenzeugen.

Das Unglück war die schlimmste Katastrophe bei einer Mekka-Wallfahrt seit 25 Jahren. Unter den Toten waren auch mehr als 130 Iraner. Die saudische Regierung müsse für das Unglück die Verantwortung übernehmen, sagte Irans oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei. In Teheran kam es nach dem Freitagsgebet zu Demonstrationen. "Tod der saudischen Dynastie", schrien wütende Demonstranten. Beim Freitagsgebet forderte der Vorprediger sogar eine Anklage des saudischen Regimes vor dem Internationale Strafgerichtshof.
Vorwürfe an Pilger
Die genaue Ursache der Katastrophe ist bisher unklar. Dramatische Bilder eines Amateurvideos zeigten, wie Dutzende leblose Körper übereinanderlagen und andere Gläubige einklemmten. Mehr als 860 Menschen wurden verletzt.
Der saudische Gesundheitsminister Khaled al-Falih hatte Pilgern schon am Donnerstag vorgeworfen, sie hätten zeitliche Vorgaben missachtet. Um den Massenstrom der Gläubigen in Mekka zu steuern, gibt es für Pilgergruppen eigentlich einen festen Zeitplan für die fünftägige Hadsch. Die pakistanische Internetseite Dawn zitierte hingegen einen Pilger, der die saudische Polizei beschuldigte, Ein-und Ausgänge zu einem Lager mit Zelten geschlossen zu haben.

Über 100 Tote bei Unfall mit Kran
Nach der Katastrophe steigt auch der Druck auf das saudische Königshaus und seinen Herrscher König Salman, der im Frühjahr den Thron bestiegen hatte. Es war bereits das zweite Unglück bei der diesjährigen Wallfahrt. Kurz vor Beginn des Hadsch war bei einem Unwetter ein Kran auf die Große Moschee in Mekka gestürzt. Mehr als 100 Gläubige starben. Salman ordnete jetzt an, die Sicherheitskonzepte für die Wallfahrt zu überprüfen.
Der iranische Präsident Hassan Ruhani, derzeit in New York für die UN-Versammlung, rief drei Trauertage aus. Außerdem bildete er einen Krisenstab. Der soll die Leichen zurück in den Iran bringen und sich um die Familien der Opfer kümmern. Außerdem forderte Ruhani von der saudischen Seite, Maßnahmen zu ergreifen, damit solche Tragödien bei einer Wallfahrt nicht wieder vorkommen.
Die Toten in einem Massengedränge sind nicht die ersten Katastrophenopfer in der Pilgerstadt Mekka. Frühere Unglücke:
11. September 2015: Etwa 107 Gläubige sterben und mehr als 230 werden verletzt, als ein Kran im Sturm auf die Große Moschee in Mekka stürzt.
12. Jänner 2006: Ein fatales Gedränge entsteht, als Pilger über mitgebrachte Gepäckstücke auf der Dschamarat-Brücke in Mina stolpern. Nachfolgende Pilger trampeln die Gestürzten zu Tode. 362 Muslime kommen ums Leben.
5. Jänner 2006: Ein Pilgerhotel in der Nähe der Großen Moschee stürzt ein, 76 Menschen sterben.
1. Februar 2004: Während der Hadsch-Wallfahrt in Saudi-Arabien werden in Mina 251 Menschen zu Tode getrampelt.
5. März 2001: Mindestens 35 Pilger werden im Getümmel in Mina getötet. Das Unglück ereignet sich bei der rituellen "Steinigung des Teufels".
9. April 1998: Ebenfalls bei der symbolischen Satanssteinigung sterben in der Ebene von Mina 118 Pilger.
15. April 1997: Bei einem Großbrand in einem Zeltlager kommen mehr als 300 Pilger ums Leben. Das Feuer wird offenbar von explodierenden Gasflaschen ausgelöst, wie sie zum Kochen benutzt werden.
23. Mai 1994: Auf der Dschamarat-Brücke in Mina werden 270 Menschen zu Tode gedrückt.
2. Juli 1990: In einem Tunnel zwischen Mekka und Mina entsteht ein tödliches Gedränge. Vermutlich war die Belüftungsanlage ausgefallen. Mehr als 1.400 Pilger ersticken oder werden zu Tode getrampelt.
Kommentare