Leere Strände an tunesischer Küste
Nach dem bewaffneten Angriff auf ein Fünf-Sterne-Hotel in Tunesien sind viele Urlauber abgereist. An den Strand, an dem am Vortag noch Hochbetrieb herrschte, trauen sich nur noch wenige Badende. Und Journalisten.
In der Früh nach der Bluttat wirkt das Ferienhotel "Imperial Marhaba" verlassen. Mit weißen Liegestühlen ist am Strand vor der Hotelanlage eine Art Zaun gebaut worden, zusammengebunden mit einem gelb-schwarzen Absperrband. Dahinter liegen vereinzelt Blumen im Sand oder auf den Liegen. Ein Ball wurde zurückgelassen und auch ein Buch. Urlauber sind nicht zu sehen, und am Strand sind nur noch vereinzelt Touristen, die von Journalisten interviewt werden.

Schlimmster Angriff auf Touristen
Noch immer ist nicht ganz klar, was genau am Vortag geschah, als ein Student aus der ärmlichen nordtunesischen Provinz Siliana in der Hotelanlage eine Waffe zückte und einen Urlauber nach dem anderen erschoss. Manche sagen, er sei auf einem Surfbrett angepaddelt gekommen. Andere wiederum betonen, er sei zu Fuß gewesen, die Waffe habe er in einem Sonnenschirm versteckt. Da er keinen Bart gehabt und kurze Hosen getragen habe, sei keiner der Wachleute misstrauisch geworden. Am Ende waren mindestens 39 Menschen tot - die Bilanz des schlimmsten Angriffs auf Touristen in der Geschichte Tunesiens.
Ein italienischer Urlauber erzählt, dass er täglich einen Strandspaziergang mache, immer zur selben Zeit - jener Zeit, zu der sich auch der Angriff ereignete. Am Tag der Attacke habe er sich entschieden, in die andere Richtung zu gehen. "Sonst wäre ich dem Täter in die Arme gelaufen", sagt er.
Touristen wollen weg
Für viele Gäste auch in den Nachbarhotels ist der Badeurlaub nun beendet. Sie warten ungeduldig in der Lobby darauf, endlich vom Reiseveranstalter abgeholt und wieder in ihre Heimatländer gebracht zu werden. Unter ihnen ist auch die Familie Schneider aus der Nähe von Stuttgart. Sie möchte keine Minute länger an diesem Ort bleiben, der sie an die schreckliche Szenerie des Vortags erinnert. "Ich bin ohnmächtig geworden, als die Schüsse fielen", sagt sie. Die Menschen seien in Panik geraten, hätten alles liegen lassen und seien barfuß geflüchtet. "
Der Strand sah aus wie ein Schlachtfeld." Seitdem möchte sie nur noch fort. "Wir haben die ganze Nacht nicht geschlafen." Während andere Hotelgäste von Bussen abgeholt worden seien, müssten sie noch weiter ausharren. "Ich kann nicht mehr am Strand liegen, ich kann nicht mehr am Pool liegen, weil die Verbrecher und Terroristen sind vom Strand gekommen."
Andere Urlauber sind noch ein wenig unsicher. Sie warten auf die Beratung ihrer Reiseveranstalter. "Wenn wir hierbleiben können, bleiben wir hier", sagt ein Mann aus dem Westerwald, der seinen Namen nicht nennen will und zu den wenigen Badenden am Strand gehört. Eine Woche Urlaub habe er nämlich noch vor sich. Doch außer wenigen Touristen und Journalisten ist kaum noch jemand am Strand.
Saison hat gerade erst begonnen
Wie es in dem beliebten Ferienort 120 Kilometer südlich der Hauptstadt Tunis nun weitergeht, ist offen. Vorerst jedenfalls ist die gerade begonnene Touristensaison wohl beendet. Ein junger Animateur aus dem Komplex des "Imperial Marhaba" weiß nicht, wie es für ihn weitergeht. "Vielleicht werde ich beurlaubt", sagt er resigniert. Er steht mit einer Gruppe Ausländern am Strand vor der Anlage. Er versucht, ihnen den restlichen Aufenthalt noch so erträglich wie möglich zu machen - und hofft auf Weiterbeschäftigung.
Für viele Mitarbeiter der Hotels dürfte die Saison mit dem tödlichen Übergriff jedoch gelaufen sein. Denn die meisten Angestellten sind Saisonarbeiter ohne feste Verträge. Und wenn die Gäste fortbleiben, haben auch sie keine Arbeit mehr.
Reiseanbieter holen Touristen nach Hause
Die Reiseanbieter haben begonnen, die ersten Urlauber aus der Region zurückzuholen. Britische Tourismuskonzerne stellten am Samstag mindestens zehn Flugzeuge bereit, um Tunesien-Touristen nach Hause zu holen. Reisebüros wie Thomson oder Thomas Cook stellten es Urlaubern in dem nordafrikanischen Land frei, ihren Urlaub kostenlos zu stornieren.
Der deutsche Reisekonzern TUI teilte mit, bereits in der Nacht auf Samstag seien 80 seiner Gäste ausgeflogen worden. Weitere 120 sollten am Wochenende folgen - darunter auch einige Urlauber, deren Rückreise ohnehin planmäßig stattfinden sollte. Insgesamt zählt TUI am Ort des Anschlags rund 120 Kilometer von der Hauptstadt Tunis entfernt nach eigenen Angaben 260 Gäste in vier Hotels. In ganz Tunesien machen derzeit etwa 3.800 Menschen Urlaub mit TUI.

Der Reisekonzern schickte ein Krisenteam aus 19 speziell geschulten Experten nach Sousse, darunter Psychologen. Zur Zahl der deutschen Opfer unter den Getöteten konnte der Sprecher am Samstag noch nichts sagen.
TUI-Urlauber, die Tunesien gebucht haben, können ihre Reise umbuchen oder stornieren. Nach Angaben des Sprechers hatten von diesem Angebot jedoch bis Samstagvormittag erst etwa 300 Gäste Gebrauch gemacht. "Der Großteil hält, zumindest nach jetzigem Stand, an seinen Reiseplänen fest."
Zehn Opfer identifiziert – keine Österreicher
Bisher sind nach Angaben der tunesischen Behörden zehn der Toten identifiziert worden. Es handle sich um acht Briten, eine Belgierin und einen Deutschen, sagte Naoufel Somrani vom tunesischen Gesundheitsministerium am Samstag der Nachrichtenagentur AFP.
Weitere 39 Menschen seien bei dem Anschlag im Urlaubsort Sousse am Freitag verletzt worden, darunter vor allem Briten, Deutsche und Belgier. Der britische Premierminister David Cameron warnte am Samstag, seine Landsleute müssten sich darauf einstellen, "dass viele der Getöteten Briten waren".
Österreicher sind weder unter den Toten noch unter den Verletzten, wie Außenministeriumssprecher Martin Weiss am Samstag gegenüber der APA sagte.
Die Identifizierung der Toten sei schwierig, erklärte das tunesische Ministerium. Die meisten Opfer seien am Strand oder am Swimmingpool des Hotels getötet worden, wo sie Badekleidung trugen und keine Papiere bei sich hatten.
Putin bietet Tunis Anti-Terror-Kooperation an
Unterdessen hat Russlands Präsident Wladimir Putin der Führung des nordafrikanischen Landes die Unterstützung Russlands im Kampf gegen Terrorismus angeboten. Moskau sei bereit zur engst möglichen Zusammenarbeit im Ringen mit dieser Bedrohung, schrieb Putin dem Kreml zufolge in einem Telegramm.
Putin übermittelte darin auch sein Beileid für die Angehörigen der Opfer des Anschlags auf ein Touristenhotel in Sousse. Moskauer Behörden zufolge wurden auch je eine Urlauberin aus Russland und der Ukraine verletzt. Der russische Außenministerium sprach am Samstag von einem "grausamen Attentat auf die Stabilität Tunesiens".
Auch Berlin sagt Anti-Terror-Unterstützung zu
Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Tunesien deutsche Unterstützung zugesichert. In einem Telefonat mit dem tunesischen Präsidenten Beji Caid Essebsi sagte Merkel, Deutschland stehe in diesen schweren Stunden an der Seite Tunesiens und werde die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrorismus weiter intensivieren.
Das teilte der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert am Samstag mit. Dabei werde ein Schwerpunkt auf der Unterstützung der Grenzsicherung liegen. Der Täter, mutmaßlich ein Islamist, hatte den Hotelkomplex im Badeort Sousse am Freitag angegriffen und mindestens 39 Menschen getötet, bevor er selbst erschossen wurde. Zu möglichen deutschen Opfern gibt es noch keine endgültigen Angaben.
Angesichts des Anschlags in Tunesien sowie des islamistischen Angriffs auf ein Gas-Unternehmen nahe der ostfranzösischen Stadt Lyon ebenfalls am gestrigen Freitag mit einem Enthaupteten ließ Innenministerin Johanna Mikl-Leiner (ÖVP) in einer Erklärung wissen: "Derzeit können nirgendwo auf der Welt Anschläge seriös ausgeschlossen werden. (...) Wir haben unsere Sicherungsmaßnahmen in Österreich schon in den vergangenen Monaten massiv verstärkt."
Deutscher Minister reist zu Kondolenzbesuch
Nach dem blutigen Attentat reist der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere am Montag an den Ort der Terrorattacke. Damit wolle er "sein tief empfundenes Mitleid mit den Angehörigen der Opfer des verachtenswerten Anschlags", darunter wohl auch Deutsche, und seine Solidarität mit dem tunesischen Volk ausdrücken, teilte sein Ministerium am Samstag mit.
De Maiziere erklärte: "Ich verachte die brutalen und ruchlosen Morde an unschuldigen Menschen." Aus den aktuellen Ereignissen ergebe sich "nach derzeitigen Erkenntnissen keine weitere Verschärfung der Sicherheitslage", heißt es in der Mitteilung weiter. Die Gefährdung durch Jihadisten und internationalen Terrorismus sei aber auch in Deutschland "unverändert hoch". "Taten wie jüngst in Frankreich müssen in Betracht gezogen werden." Dort hatte am Freitag ein Attentäter bei einem Anschlag in einem Werk für Industriegase seinen Chef enthauptet (mehr dazu hier).
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Der Attentäter von Sousse, der 24-jährige Saifeddine R., war für die tunesischen Behörden nach Angaben von Regierungschef Habib Essid ein Unbekannter. Der junge Mann mit den dichten dunklen Haaren wurde nicht mit terroristischen Vereinigungen in Verbindung gebracht - bis er am Freitag am Strand des Badeortes an Mittelmeer auftauchte und ein Blutbad anrichtete.
Fotos zeigen Saifeddin R. während der Tat. Er trägt eine kurze Hose und ein schwarzes T-Shirt - und in der Hand das Sturmgewehr, mit dem er Dutzende Menschen tötete, bevor er selbst erschossen wurde. Viele Informationen über den Werdegang des jungen Mannes gibt es nicht. Den Ferienort Sousse kannte der 24-Jährige der Zeitung Al-Chourouk zufolge, weil er in der Hafenstadt einmal gearbeitet hatte.
Der Attentäter stammt aus einer armen Gegend in der nordtunesischen Provinz Siliana. Laut Al-Chourouk war er einst Religionsschüler in einer nicht-staatlichen Einrichtung. Zudem hatte er Elektro-Ingenieurswesen studiert, und zwar in der Stadt Kairouan, einer Hochburg von Salafisten.
So lässt sich auch der angebliche Kampfname des Attentäters erklären, den die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verbreitete: Abu Yihya al-Kairouni. Ob sich R. tatsächlich dem IS angeschlossen hatte, ist aber nicht klar. Nach Angaben der Regierung hatte er Tunesien nie verlassen.
Tunesien kommt mehr als vier Jahre nach dem Beginn des "Arabischen Frühlings" und dem Sturz des autoritären Staatschefs Zine El Abidine Ben Ali nicht zur Ruhe. Bei einem Angriff auf ein Hotel im tunesischen Urlaubsort Sousse erschoss ein Mann am Freitag 38 Menschen, die meisten davon ausländische Urlauber. Hier ein Überblick über die Entwicklungen in dem nordafrikanischen Land seit Ende 2010:
17. Dezember 2010: Der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi setzt sich in Brand, weil er sich von den Behörden seiner Lebensgrundlage beraubt sieht. Die Verzweiflungstat gilt als Auslöser der folgenden landesweiten Massenproteste.
14. Jänner 2011: Unter dem Druck der Massenproteste flieht der seit 23 Jahren amtierende Präsident Zine El Abidine Ben Ali nach Saudi-Arabien.
25. Februar 2011: Regierungsfeindliche Proteste zwingen Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi, den letzten aus der Ära Ben Ali, zum Rücktritt.
27./28. Oktober 2011: Nach Bekanntgabe der Ergebnisse der ersten freien Wahlen erschüttern gewaltsame Unruhen die Stadt Sidi Bouzid. Die islamistische Ennahda-Partei geht als Sieger aus den Wahlen hervor.
14. September 2012: Vier Menschen werden bei gewaltsamen Protesten vor der US-Botschaft gegen einen islamkritischen Film getötet.
6. Februar 2013: Der prominente Oppositionelle Chokri Belaid wird erschossen. Das Attentat führt erneut zu schweren Unruhen, der islamistische Ministerpräsident Hamadi Jebali tritt als Konsequenz zurück.
25. Juli 2013: Ein weiterer Oppositionsführer, Mohamed Brahmi, wird erschossen. Auch hinter diesem Attentat werden islamistische Extremisten vermutet.
2. August 2013: Die Streitkräfte starten eine Offensive gegen islamistische Aufständische am Berg Chaambi an der Grenze zu Algerien.
4. Februar 2014: Der mutmaßliche Mörder Belaids wird bei einer Polizeirazzia getötet. Er ist einer von sieben schwer bewaffneten Extremisten, die bei dem Einsatz erschossen werden.
16. Juli 2014: Am Berg Chaambi an der Grenze zu Algerien töten Dschihadisten 15 Soldaten. Es ist der tödlichste derartige Angriff in der Geschichte der tunesischen Streitkräfte.
21. Dezember 2014: Der anti-islamistische Politikveteran Beji Caid Essebsi gewinnt die erste freie Präsidentschaftswahl in Tunesien.
18. März 2015: Bei einem Anschlag auf das Nationalmuseum von Bardo in Tunis sterben 21 ausländische Touristen, ein Polizist und zwei Attentäter. Die Jihadistengruppe "Islamischer Staat" (IS) bekennt sich zu dem Anschlag, doch macht die Regierung den Al-Kaida-Ableger Okba Ibn Nafaa verantwortlich.
26. Juni 2015: Ein Attentäter erschießt in einem Strandhotel im Urlaubsort Sousse 38 Menschen, die meisten davon Urlauber aus Großbritannien, Deutschland, Belgien und Frankreich. Der Angreifer wird getötet. Die IS-Miliz bekennt sich auch zu diesem Angriff.
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