Rom: Jeder kehrt jetzt vor seiner eigenen Tür

Der Massentourismus in der Innenstadt, überfüllte Mülldeponien und das Fehlen einer effizienten Recyclingstrategie führten in den vergangenen Monaten zu einem Hygienedesaster. Der Unrat türmte sich unter sengender Hitze auf den Straßen.
Doch die Geduld der Römer ist jetzt zu Ende. Die Resignation wegen der seit Jahren anhaltenden Missstände wandelte sich in Empörung um und führte zu spontanen Initiativen. Im zentralen und multikulturellen Stadtviertel Esquilin zwischen dem Hauptbahnhof Termini und der Basilika Santa Maria Maggiore sind Bürgerinitiativen entstanden, die sich sonntags treffen, um die Straßen zu kehren. "Ich liebe mein Viertel und will nicht mehr zusehen, wie es mangels einer effizienten Stadtverwaltung einfach verwahrlost. Wir müssen Rom selber in die Hand nehmen", sagte die Trafikantin Patrizia, die zu den Koordinatoren der Initiative zählt.
Der Protest wurde am Wochenende vom populären römischen Schauspieler Alessandro Gassmann initiiert. "Schluss mit Klagen! Jeder Römer soll zum Besen greifen und das Stück Straße vor seiner Haustür sauberkehren. Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen, damit die Stadtverwaltung endlich auf diese Missstände reagiert", schrieb der Schauspieler auf seinem Twitter-Account. Er rief die Römer auf, ihre Fotos mit dem Besen in der Hand zu posten. Seinem Appell folgten innerhalb kurzer Zeit Hunderte Menschen.
Unterstützt wird die Kampagne aktiv von mehreren Tageszeitungen. Die Lokalredaktionen von "La Repubblica" und " Corriere della Sera" riefen die Bürger zuletzt auf, Fotos von den Missständen in Rom einzuschicken. Täglich veröffentlichen sie Bilder der größten Notstände in der Stadt. "Der Erfolg der Aktion hat unsere Erwartungen total übertroffen. Wir werden regelrecht von Appellen verzweifelter Bürger überflutet, die dem Niedergang ihrer geliebten Stadt nicht mehr zuschauen wollen", berichtete ein Journalist von "La Repubblica".
Gegenüber dem Bürgerprotest scheint Roms Stadtoberhaupt Ignazio Marino machtlos. Seit Monaten ist er mit dem gewaltigen Korruptionsskandal "Mafia Capitale" konfrontiert, der zur Festnahme Dutzender Lokalpolitiker geführt hat. Seine Stadtregierung bröckelt, die Oppositionsparteien fordern mit Nachdruck seinen Rücktritt. Dem angesehenen Chirurgen, der 2013 die Führung der italienischen Hauptstadt übernommen hat, wird mangelnde Durchsetzungskraft im täglichen römischen Chaos vorgeworfen. Marino verweigert jedoch seine Demission und kämpft um seinen Sessel. Ob ihn die "Besenrevolte" nicht auch wegfegen wird, werden die nächsten Wochen zeigen.
Als schmutzig, chaotisch und unsicher schildert die "New York Times" die 3,5-Millionen-Metropole. Von "Dolce Vita" keine Spur mehr. Eine Rekordmenge von 660 Kilo Müll produziert jeder Römer pro Jahr. Ist der Container voll, deponieren viele Bewohner ihren Abfall auf dem Gehsteig. Der kommunalen Müllentsorgungsgesellschaft AMA mit Tausenden Mitarbeitern wird Ineffizienz vorgeworfen. Ihre Manager sollen sich jahrelang durch Günstlingswirtschaft und Korruption bereichert haben, während die Stadt im Schmutz unterging. Obdachlose schlafen in den Tempelruinen, Flüchtlinge campieren in den Parks. Die Grünfläche Colle Oppio mit Ausblick auf das Kolosseum gleicht einer Deponie. Die Müllabfuhr ist überfordert.
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