USA

Obdachlosen Kindern setzt Wintereinbruch zu

Schneesturm an der US-Ostküste: Um ein Bett müssen die Kinder jetzt oft Lotterie spielen.

Interpol, die Indie-Rock- und Post-Punk-Band aus New York City, steckte zwei Tage wegen des tobenden Schneesturms nahe der Stadt Buffalo im Bundesstaat New York in ihrem Tourbus fest. Das in Montreal geplante Konzert musste abgesagt werden.

Mit mehr als zwei Metern Schnee steuert der Bundesstaat New York auf einen Rekord zu. So viel fällt sonst über das ganze Jahr verteilt. Mehrere Menschen kamen bisher ums Leben.

Eine Person mit rotem Haar signiert eine Weihnachtskugel vor einem Weihnachtsbaum.
Jugendliche im Tageszentrum von Stand Up for Kids in Chicago
In Chicago peitscht der Wind die gefühlte Temperatur tagsüber auf zum Teil minus 20 Grad Celsius. "Für unsere Kids beginnt jetzt die härteste Zeit", sagt Brian Russell zum KURIER. Mit "unsere Kids" meint der Geschäftsführer der Non-Profit-Organisation "Stand Up for Kids Chicago" jene über 20.000 Kinder und Jugendlichen, die ohne ein Dach über dem Kopf den harten Winter am Michigansee überstehen müssen. Russell und sein Team aus 20 Freiwilligen kümmert sich um rund 130 obdachlose Jugendliche, ist ihnen Ratgeber, "Freund und Familie", gibt ihnen warmes Essen und versorgt sie mit Kleidung. "Am dringendsten benötigen wir derzeit Mäntel." Schlafplätze kann Russell keine anbieten, dafür fehlen die Mittel und eine entsprechende Lizenz.

2,5 Millionen ohne Bett

In den Vereinigten Staaten waren im vergangenen Jahr rund 2,5 Millionen Kinder zumindest zeitweilig obdachlos und damit so viele wie nie zuvor. Das zeigt der jüngste Report des "National Center on Family Homelessness (NCFH)". Eines von 30 Kindern unter 18 Jahren musste demnach auf der Straße leben, die Hälfte davon jünger als sechs Jahre alt. Im Jahr 2010 lag die Zahl noch bei 1,6 Millionen wohnungsloser Minderjähriger. Das Vorhaben der US-Regierung, der Familien-Obdachlosigkeit bis 2020 ein Ende zu setzen, scheint angesichts dieser Entwicklung in die Ferne gerückt. Autoren der Studie warnen vor einem "dauerhaften Dritte-Welt-Amerika".

Wenige Schlafplätze

Armut, hohe Mietpreise in Kombination mit zu wenig sozialem Wohnraum sowie die Nachwehen der Wirtschaftskrise hätten mitunter zu dieser "beschämenden Entwicklung" geführt, sagt NCFH-Direktorin Carmen DeCandia es. Manche würden ob ihrer sexuellen Orientierung von zu Hause rausgeschmissen, weit mehr würden sexuell missbraucht und deshalb Reißaus nehmen, erklärt Russell. Auch in Pflegefamilien würden Kinder oftmals nicht das finden, was sie brauchen und deshalb ein Leben auf der Straße bevorzugen. Und so übernachten sie bei Bekannten, Freunden, in Autos, Kellern, Tiefgaragen, Bahnhöfen oder temporären Schlafstätten. Letztere sind rar. "Es gibt zwei Arten von Anlaufstellen", erklärt Russell. "Jene für Erwachsene, wo die Kinder oft nicht sicher sind, und jene für Familien. Da passen und dürfen sie auch nicht rein." Weniger als 300 Betten für Kinder und Jugendliche gibt es in Chicago. Im "The Crib" stehen 22 davon. Suchen dort in einer Nacht mal mehr Kids Unterschlupf, wird Lotterie gespielt. Jeder bekommt eine Nummer, dann wird gelost.

Ein dichter Schneesturm zieht über einen dunklen See, während das Ufer schneebedeckt ist.

A lake-effect snow storm with freezing temperature
Ein Blick auf eine verschneite Stadtlandschaft am Ufer eines Sees unter einem bewölkten Himmel.

A lake-effect snow storm with freezing temperature

Was den Kindern bleibt, wenn ihre Nummer nicht gezogen wird? "Dann haben sie hoffentlich das Glück, noch einen Fahrschein zu haben", so Russell. Davon würde er viele austeilen: Sei es, um den Kids die Fahrt in die Schule oder Arbeit zu ermöglichen oder für ein paar Stunden im Warmen. Eine Fahrt in der "L", wie die U-Bahn hier genannt wird: "Das heißt drei Stunden Wärme und Schlaf." Russell freut sich auch immer über Theatergutscheine als Spende. "Wenn die Kids das Stück nicht interessiert, können sie zumindest im Warmen sein oder schlafen." Probleme, ins Theater zu kommen, hat es noch nie gegeben. "Diese Kinder sind unsichtbar. Die große Mehrheit würde sie nie als Straßenkinder erkennen."

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