Starkes Nachbeben erschüttert Nepal erneut

Nach dem verheerenden Himalaya-Erdbeben haben die Helfer in Nepal bisher mehr als 2400 Leichen geborgen. Tausende Menschen wurden nach offiziellen Angaben bei der Naturkatastrophe verletzt. Es wird befürchtet, dass die Zahl der Toten weiter steigen wird. Nepal war am Samstagmittag von einem Beben der Stärke 7,8 erschüttert worden.
Auch in den umliegenden Ländern China, Indien und Bangladesch starben Menschen, als ihre Häuser über ihnen zusammenfielen. Die meisten Menschen in Nepals Hauptstadt Kathmandu verbrachten die Nacht im Freien - darunter auch Verletzte, die in den überfüllten Krankenhäusern keinen Platz mehr fanden. Selbst Präsident Ram Baran Yadaf habe in einem Zelt geschlafen, sagte sein Sprecher in einem lokalen Radio.
Am Sonntag erschütterte ein starkes Nachbeben Indien und Nepal erneut. Es habe eine Stärke von 6,7 erreicht, teilte die US-Erdbebenwarte USGS mit.
Fast nirgendwo in Kathmandu gibt es Strom, manche Menschen helfen sich mit Solarlampen. "Wir laden unsere Handys an Autobatterien auf", sagte Alina Shrestha von World Vision, die selbst betroffen ist. Etwa 30 Nachbarn hätten die Nacht in Zelten in ihrem Hof verbracht. Sie höre Helikopter, aber Soldaten oder Polizisten habe sie in ihrem Stadtviertel noch nicht gesehen.
Bilder der Zerstörungen
Wie es in vielen abgelegenen Städte und Dörfern in dem Himalaya-Land aussieht, ist noch kaum zu überblicken. Das Dorf Barmak, unter dem das Epizentrum des Bebens lag, sei fast vollständig zerstört, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. "Ich habe meine Angehörigen und alle meine Nachbarn verloren", sagte eine Frau auf Jaybageshwari einem örtlichen Radiosender. "Kann jemand, der überlebt hat, uns helfen? Wir haben weder Essen noch Kleidung. Alles ist weg."
Nepal hat den Notstand in den betroffenen Gebieten ausgerufen. Schulen und Universitäten bleiben für eine Woche geschlossen. Die Stromversorgung könnte lange ausfallen, da das Erdbeben die Wasserkraftwerke beschädigt hat, von denen Nepal fast all seinen Strom bezieht. Indien hat mehrere Flugzeuge mit Hilfsgütern wie Nahrungsmitteln, Wasser und Kommunikationsgeräten geschickt.
Helfer mit Problemen
Die internationalen Caritasverbände arbeiten bereits an Ort und Stelle - und berichten von großen Problemen. "Der Zugang zu Erdbebenopfern ist vielerorts noch nicht möglich, weil die Straßen blockiert sind. Die Kommunikation ist aufgrund des Stromausfalls schwierig", erklärte der Direktor der Caritas Nepal, Pius Perumana. Augenzeugen berichten, vielfach hätten die Menschen nur noch Kekse und Trockenfrüchte übrig. Hilfsorganisationen fürchten, dass bald auch das Wasser ausgeht. Auch die Ärzte sind an vielen Orten bereits überlastet. "Unter den Toten sind viele Kinder", sagte Doktor Pratab Narayan aus dem Teaching-Krankenhaus. "Wir sind völlig überwältigt von der Zahl an Menschen."
Mehrere Hubschrauber sind am Sonntag am Basiscamp des Mount Everest gelandet, um durch eine Lawine verletzte Menschen zu bergen. Sechs Helikopter erreichten das Lager am Sonntag, nachdem sich die Wetterbedingungen gebessert hatten, wie eine Reporterin der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Am Basislager kamen nach neuen Angaben mindestens 18 Menschen ums Leben. Laut Temba Tsheri Sherpa von Dreamer's Destination sind unter den Toten mindestens ein Australier und ein Chinese. Die amerikanische Schauspielerin Sophia Bush schrieb auf Instagram, sie habe ihren Ex-Freund Dan Fredinburg, einen Google-Ingenieur, durch die Lawine verloren.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) steht bereit für eine schnelle Evaluierung des Finanzbedarfs des Landes. Ein Expertenteam könne so schnell wie möglich nach Nepal reisen, um der Regierung bei der Einschätzung der makroökonomischen Lage und ihres Finanzbedarfs zu helfen, erklärte IWF-Chefin Christine Lagarde am Samstag in Washington.
Auch Österreicher betroffen
Auch Österreicher waren in der Bebenregion; inzwischen konnte das Außenministerium in Wien Kontakt zu vielen herstellen. Eine Liste mit 61 Namen wurde erstellt, davon konnten bisher 39 Personen erreicht werden, die alle unverletzt waren. Zu den übrigen 22 Österreichern gab es noch keinen Kontakt.
"Es hat ordentlich gerumpelt, und es war sehr unheimlich. Aber es geht mir gut." Diese erlösende telefonische Botschaft erreichte Sabine Holzer im heimatlichen Tristach, Osttirol, am Samstag nach dem Erdbeben von ihrem Ehemann Andy, 48. Der blinde Alpinist versucht mit seinem Team gerade den Mount Everest zu besteigen. Dem KURIER sagte die Frau, dass Andy (siehe auch unten), der sich derzeit auf 6400 Metern befindet, weiterhin den Gipfelsturm anpeile. Weniger Glück hatten Kletterkollegen des Tirolers: Bei einem durch die Erschütterungen ausgelösten Lawinenabgang starben mindestens dreizehn Menschen.
In Patan leitet der Wiener Thomas Schrom Restaurierungsarbeiten der Königspaläste rund um den "Durbar Square". "Alles hat gezittert, Bücher sind aus den Regalen gefallen, Gläser zersplittert", sagte er dem KURIER. In dem Areal seien zwei große Tempel eingestürzt. Auch eine Königsstatue sei dem Beben zum Opfer gefallen. "Aber", so Schrom weiter, "der mit österreichischen Geldern restaurierte Königspalast hat kaum Schaden genommen."
Das heimische Rote Kreuz reagiert schnell: Schon heute werden die beiden Helfer Andrea Reisinger und Georg Ecker in die Krisenregion fliegen. "In den ersten Stunden geht es vor allem ums Lebenretten. Menschen müssen aus den Trümmern geborgen und verarztet werden", so die junge Frau, die zwischen 2007 und 2009 in Nepal für das Rote Kreuz tätig war. Die beiden Oberösterreicher werden die lokalen Behörden unterstützen und dabei ihre Erfahrung einbringen, die sie beim Einsatz nach dem Erdbeben auf Haiti sammeln konnten.
Die Berge faszinieren den Osttiroler, der in der Nähe von Lienz aufwuchs und das Erdbeben in Nepal am Mount Everest erlebte (siehe oben), seit seiner Kindheit. In einem KURIER-Interview beschrieb er sie einmal als "das einzige Terrain, in dem ich mich mit meinem Körper total frei bewegen kann". Denn ab einer gewissen Höhe, einem gewissen Schwierigkeitsgrad sei ein jeder Mensch gehandikapt. "Ich bin dann wie jeder andere."
Das ist aber längst nicht der einzige Grund, warum der heute 48-Jährige zu einer Ausnahme-Erscheinung in der internationalen Kletterwelt wurde und schon auf den höchsten Berge der Welt war. Beim Klettern melden seine Hände und Füße, "wohin es geht". Unter anderem bestieg er den Kilimandscharo in Afrika oder den Aconcagua in Südamerika. Der ist immerhin mit 6962 Metern der höchste Berg außerhalb Asiens. "Je höher ich hinaufkomme, desto freier fühle ich mich, als würde mir jemand die Fesseln abnehmen." Diesen Satz sagt der Extremkletterer im Film "Unter Blinden. Das extreme Leben des Andy Holzer", der erst Anfang April 2015 in die Kinos gekommen ist.
Die Expedition auf den Mount Everest hat Holzer selbst organisiert, von der Logistik bis zu seinen Kletterpartnern. Als Blinder sei er stärker auf Begleiter angewiesen. Jeder tue, was er am besten kann, man begegne sich aber in jeder Hinsicht auf Augenhöhe. Die Freunde fänden im Gegensatz zu ihm im Flugzeug die Treppe oder am Berg die schmalste Stelle über eine Gletscherspalte schneller. "Und so ist niemand dem anderen etwas schuldig."
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