Ledige Mütter und ihre Kinder verkamen in Heimen

Ein Friedhofstor mit einem weißen Kreuz vor einer Steinmauer.
Der Fund von 796 Babyskeletten löst einen Skandal in Irland aus.

Der zwölfjährige Barry Sweeney spielte mit einem Freund auf dem Gelände des ehemaligen katholischen Mutter-Kind-Heimes im westirischen Städtchen Tuam. Eine lockere Betonplatte machte die beiden neugierig. Sie stemmten sie hoch und fanden darunter einen Betontank – bis zum Rand gefüllt mit kleinen Skeletten. Das war vor fast 40 Jahren. Der Fund kümmerte damals kaum jemanden. Ein lokaler Priester segnete die menschlichen Überreste, danach passierte nichts.

Erst die hartnäckige Recherche einer lokalen Historikerin offenbarte nun das ganze Ausmaß des grausigen Fundes. 796 Baby- und Kleinkinderleichen dürften zwischen 1925 und 1961 in dem Tank verscharrt worden sein. In dem von einem katholischen Frauenorden geführten Heim waren über die Jahre Tausende Mütter mit ihren unehelichen Kindern untergebracht. Sie waren von ihren Familien im damals streng katholischen Irland verstoßen worden.

Die Babys und Kleinkinder dürften an vergleichsweise leicht behandelbaren Krankheiten sowie den Folgen von Unterernährung und Vernachlässigung gestorben sein, zeigen Dokumente, die von Historikerin Catherine Corless nun ausgewertet wurden.

Der Fund sorgt für Entsetzen in ganz Irland. Die Regierung hat eine Untersuchung des Falles angekündigt. “Das ist eine schockierende Erinnerung an eine Vergangenheit in Irland, als unsere Kinder nicht so wertgeschätzt wurden, wie es hätte sein sollen”, sagt Kinder- und Familienminister Charlie Flanagan.

Spitze des Eisbergs

Der Fall in Tuam könnte die Spitze eines Eisberges sein. Er zwingt die irische Gesellschaft, sich mit einem dunklen Kapitel ihrer Geschichte auseinanderzusetzen. Bis in die 1990er-Jahre wurden irische Frauen, die außerhalb der Ehe schwanger wurden, von Kirche und Gesellschaft stigmatisiert. “Unehelich schwanger zu werden, was das schlimmste Verbrechen in Irland – obwohl viele betroffene Frauen Opfer von Vergewaltigungen waren”, erklärt Historikerin Corless.

Weil sie von ihren Familien nicht unterstützt wurden, gingen insgesamt rund 35.000 Frauen mit ihren unehelichen Kindern in eines der Dutzenden katholischen Mutter-Kind-Heime im Land. Dort wurden Mütter und Kinder systematisch unterdrückt und erniedrigt. Ehemalige Bewohner erinnern sich daran, wie ihnen gleich zu Beginn von den Nonnen neue Namen gegeben wurden. Das wenige, das sie besaßen, wurde den Kindern weggenommen. In manchen Heimen durften Mütter nur Babys anderer Frauen stillen. Die Kindersterblichkeit war fünf Mal höher als sonst im Land. 97 Prozent der überlebenden Kinder wurden später zur Adoption freigegeben – in vielen Fällen ein lukratives Geschäft für die beteiligten Orden.

All das und nicht nur der Fall in Tuam müsse nun endlich aufgeklärt werden, fordern irische Frauen- und Kinderrechtler.

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