In Afrika sind 15 Millionen auf der Flucht

Luftaufnahme einer dicht besiedelten Stadt mit einfachen Häusern und unbefestigten Straßen.
Der Flüchtlingsstrom nach Europa ist im Vergleich zu dem in der Sub-Sahara klein.

Zehntausende Afrikaner versuchen jährlich über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Doch die wirkliche Flüchtlingskrise mit Millionen Betroffenen spielt sich in armen Ländern südlich der Sahara ab.

Die weltgrößte Flüchtlingskrise spielt sich weit weg von Europa ab. Auf keinem Kontinent sind so viele Menschen auf der Flucht vor Krieg, Hunger und Menschenrechtsverletzungen wie in Afrika. Südlich der Sahara haben die Krisen in Ländern wie dem Südsudan, der Demokratischen Republik Kongo, Somalia oder der Zentralafrikanischen Republik dem UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) zufolge 15 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben. Afrikanische Nachbarstaaten gewähren ihnen Schutz. Die Flucht von Zehntausenden aus Afrika nach Europa stellt daher nur die Spitze des Eisbergs dar. Eine Auswahl:

Burundi: Aus Angst vor neuer Gewalt in dem kleinen ostafrikanischen Land sind allein seit März 180.000 Menschen in die Nachbarländer geflohen. Das kleine Ruanda bietet 70.000 Menschen Schutz. Tansania, eines der ärmeren Länder Afrikas, hat 80.000 Menschen aufgenommen. Burundi wurde im April in eine Krise gestürzt, als Präsident Pierre Nkurunziza begann, aus verfassungsrechtlich umstrittener Sicht nach einer dritten Amtszeit zu greifen. Die Fliehenden fürchten ein Wiederaufflammen ethnischer Spannungen, die in den 1990-er Jahren zu einem langjährigen Bürgerkrieg mit 300.000 Toten geführt hatten.

Somalia: Knapp eine Million Somalis sind vor der anhaltenden Gewalt in ihrer Heimat am Horn von Afrika in Nachbarländer geflohen. Rund 420.000 leben in Kenia, jeweils etwa 250.000 in Äthiopien und im Jemen. Viele Somalis in Kenia sind dort in Flüchtlingslagern zur Welt gekommen, sie werden inzwischen jedoch mit Argwohn betrachtet. Behörden befürchten, dass manche von ihnen Verbindungen zur islamistischen Terrorgruppe Al-Shabaab unterhalten. In Kenia liegt auch das größte Flüchtlingslager der Welt, Dadaab, in dessen Camps rund 350.000 Somalis leben. Mehr als 1,1 Millionen Menschen in Somalia sind Binnenflüchtlinge. Das Land hat seit 1991 keine funktionierende Zentralregierung mehr.

Südsudan: Rund 755.000 Menschen sind vor der Gewalt im Südsudan in die Nachbarländer geflohen, zumeist nach Äthiopien, Uganda und dem Sudan. Das eher christliche Land spaltete sich 2011 vom mehrheitlich muslimischen Sudan ab. Eine bitterer Machtkampf zwischen Präsident Salva Kiir und seinem Ex-Vize Riek Machar hat seit Ende 2013 zu einer neuen Spirale von Gewalt und Vertreibung geführt. 1,6 Millionen Menschen sind innerhalb der Landesgrenzen geflohen, zudem sind rund 300.000 Menschen aus dem Sudan in den Südsudan geflüchtet.

Kongo: Rund 500.000 Kongolesen sind vor andauernder Gewalt und Gesetzlosigkeit in Nachbarländer geflohen. Mehr als 2,75 Millionen Menschen haben ihre Heimat verlassen, um innerhalb der Landesgrenzen anderswo Schutz zu suchen. Vor allem der Osten des Kongo wird von verschiedenen Rebellen und Milizen heimgesucht. Diese kämpfen zumeist um die Vorherrschaft über örtliche Mineralienvorkommen - darunter zum Beispiel Gold und das für die Handyproduktion wichtige Coltan.

Zentralafrikanische Republik: Rund 460.000 Menschen sind vor den Kämpfen in der Zentralafrikanischen Republik in die Nachbarländer Kamerun, Tschad und Kongo geflohen. Etwa eben so viele gelten als Binnenflüchtlinge. Gewalt zwischen den Religionsgruppen bestimmt den Alltag in dem Land, das laut einem UNO-Entwicklungsindex das drittärmste Land der Welt ist. Der Konflikt brach aus, nachdem muslimische Seleka-Rebellen 2013 den christlichen Präsident Francois Bozize entmachtet hatten.

Nigeria: Rund 150 .00 Nigerianer sind wegen des blutigen Terrorfeldzugs von Boko Haram in Nachbarländer geflohen, vor allem in den Niger und nach Kamerun. Rund 1,4 Millionen Menschen sind aus dem Nordosten Nigerias, wo die sunnitischen Extremisten wüten, in andere Landesteile geflohen.

Wieder mehr Fluchtversuche durch Eurotunnel

Die Zahl der Versuche von Migranten, durch den Eurotunnel von Frankreich nach Großbritannien zu gelangen, hat in der Nacht zum Montag unterdessen wieder deutlich zugenommen (mehr dazu siehe unten).

Es seien rund 1.700 Versuche gezählt worden, auf das Gelände am Eingang des Bahntunnels in Calais zu gelangen, verlautete aus Polizeikreisen. Ein Polizist sei "im Gesicht und am Kopf" verletzt worden, nachdem er von einem Stein getroffen worden sei. Ein sudanesischer Flüchtling wurde unter dem Verdacht festgenommen, den Stein aus dem Gleisbett der Bahnstrecke genommen zu haben. Der Beamte wurde ins Krankenhaus gebracht.

Seit Wochen versuchen im nordfranzösischen Calais tausende Migranten, nachts zum Eurotunnel vorzudringen, um an Bord von Güterzügen und Lastwagen nach Großbritannien zu gelangen. Mitunter wurden pro Nacht 2000 Versuche registriert, über die Zäune zu gelangen.

Nach Schätzungen warten derzeit etwa 3000 bis 5000 Flüchtlinge rund um die französische Stadt Calais darauf, um über den Eurotunnel nach Großbritannien zu gelangen. Der britische Premier David Cameron hat in Folge dessen eine rigorosere Einwanderungspolitik angekündigt. Die Polizei hat in der Nacht zum Freitag rund 200 Flüchtlinge eingekesselt, die versucht haben, über den Eurotunnel nach England zu flüchten.

Die britische Regierung unterstützt in der Flüchtlingskrise in Calais die französischen Sicherheitskräfte mit zusätzlichen Zäunen und Spürhunden. Zudem werde das Verteidigungsministerium Gelände in Südengland zur Verfügung stellen, um den Rückstau vor dem Tunneleingang aufzulösen, sagte Premierminister David Cameron am Freitag nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts in London. Er wolle noch am Freitag mit dem französischen Präsidenten Francois Hollande über die "inakzeptable" Lage sprechen.

Was sind die Beweggründe der Menschen, die die lebensgefährliche Flucht riskieren?

ASYLKRISE IN FRANKREICH: Frankreichs Asylsystem wird heftig kritisiert. Bearbeitungszeiten sind lang und es gibt für weniger als die Hälfte der Asylbewerber Platz in Unterkünften. Deshalb sitzen selbst Asylsuchende mit legalen Papieren auf der Straße. Viele stellen dort daher erst gar keinen Asylantrag.

WIRTSCHAFTLICHE LAGE: Die Länder Südeuropas, wo viele Flüchtlinge als erstes ankommen, leiden unter hoher Arbeitslosigkeit. Auch Frankreich meldet immer wieder Höchstwerte. In Großbritannien liegt die Arbeitslosenquote mit 5,4 Prozent nur gut halb so hoch wie auf der anderen Seite des Ärmelkanals. Migranten hoffen, dort leichter Arbeit zu finden. Da es kein Meldegesetz gibt, hoffen viele auch, leichter als anderswo untertauchen und schwarz arbeiten zu können.

ASYLBEDINGUNGEN IN GROSSBRITANNIEN: Im Vereinigten Königreich wurden im vergangenen Jahr 41 Prozent aller Asylanträge genehmigt, ein deutlich höherer Anteil als in Deutschland und Frankreich. Die Bearbeitungszeiten sind kürzer. Allerdings schafften es auch viel weniger Asylsuchende ins Land. Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz betonen, das britische Asylgesetz sei ebenso streng wie anderswo.

SPRACHBARRIERE UND COMMUNITY: Vielen Flüchtlingen fällt es leichter, Englisch zu sprechen, als etwa Französisch zu lernen. Manche hoffen, dass Freunde, Familie oder Landsleute in Großbritannien ihnen helfen. In Ballungszentren wie London oder Birmingham gibt es bereits große afrikanische und arabische Gemeinschaften.

UNWISSEN: Vielen Migranten kennen die Asylregeln in der EU nicht und wissen nicht, wo sie Unterstützung finden können. Viel läuft über Mund-zu-Mund-Propaganda: Bei zahlreichen Flüchtlingen, mit denen der "Secours Catholique" sprach, waren Empfehlungen anderer Migranten ausschlaggebend für den Wunsch, nach Großbritannien zu gelangen.

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