Im Internet droht Erdogan ein Sex-Video

In türkischen Internetforen gibt es ein neues Spiel: Die Teilnehmer fragen sich gegenseitig, welche Enthüllung wohl als nächstes auf das Land zukommt. Weitere Korruptionsvorwürfe gegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan? Ein neues Telefonat, in dem sich ein Minister Erdogans respektlos über den Koran äußert? Ein Sex-Video, das die Regierung in Bedrängnis bringt? Vielleicht sogar ein Video, das Erdogan persönlich in verfänglicher Situation zeigt?
Gerüchte
Im Internet machen Gerüchte die Runde, die Bilder beträfen den Ministerpräsidenten und Defne Samyeli, eine Journalistin, die Anfang der 1990er-Jahre den dritten Platz in einem Schönheitswettbewerb belegte. Möglicherweise habe Erdogan den Zugang zum Kurznachrichtendienst Twitter sperren lassen, um die Verbreitung des Skandal-Videos zu verhindern, heißt es. Samyeli wies die Spekulationen als bösartige Unterstellungen zurück.
Dass bis zum Wahltag am Sonntag neue Vorwürfe gegen die Erdogan-Regierung auftauchen werden, glaubt wohl auch der Ministerpräsident selbst. Und er versucht, dies zu verhindern.
Twitter-Verbot
Während einige seiner Minister noch versuchten, das Twitter-Verbot vorige Woche als rein juristische Entscheidung aufgrund lokaler Gerichtsbeschlüsse zu erklären, ging der Regierungschef bei Wahlkampfreden in die Vollen: Er werde die "nationale Sicherheit" der Türkei stets bewahren. Die Internet-Plattformen transportierten staatszersetzende und familienfeindliche Inhalte. Der Zugang zu Twitter bleibt gesperrt. Facebook und YouTube sollten ebenfalls mit "Unmoral" aufhören.
So werden die Kommunalwahlen zu einem Plebiszit über Erdogan. Es ist die erste Wahl in der Türkei seit seinem 50-Prozent-Triumph bei der Parlamentswahl 2011, der erste Urnengang seit den Gezi-Unruhen des Vorjahres und dem Bekanntwerden der Korruptionsvorwürfe gegen seine Regierung im Dezember.
Verschwörung
Erdogan, 60, jettet kreuz und quer durch das Land und wettert gegen eine angebliche Verschwörung des Auslands gegen seine Regierung. Einer seiner Berater sagte in einem Zeitungsinterview, der Westen wolle einen Aufstieg der Türkei verhindern und lege Erdogan deshalb Steine in den Weg. Allerdings hat Erdogan einige Vorwürfe bestätigt, die durch abgehörte Telefonate ans Licht kamen. So gab er zu, Druck auf Medien gemacht zu haben, die seiner Meinung nach der Opposition zu viel Raum boten.
Erdogans autoritärer Führungsstil und seine Weigerung, den Korruptionsskandal transparent aufzuarbeiten, haben seiner Popularität geschadet. Die meisten Umfragen sehen Verluste für seine Partei AKP voraus, wenn auch niemand daran zweifelt, dass die AKP am Sonntag stärkste Kraft im Land bleiben wird. Die spannende Frage lautet, ob sie im landesweiten Durchschnitt unter 40 Prozent rutscht, wie dies einige Umfragen voraussagen. Wichtig ist auch, ob die AKP die Herrschaft in den Metropolen Istanbul und Ankara behält. Befragungen lassen vermuten, dass die Erdogan-Partei zumindest in Ankara abgewählt werden wird.
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