Helfer: "So stelle ich mir die Apokalypse vor"
Die verzweifelten Gesichter, die unglaubliche, kilometerweite Verwüstung in Bosnien, Serbien und Kroatien haben selbst die Caritas-Helferin Birgit Ertl und Auslandshilfe-Generalsekretär Christoph Schweifer (siehe Foto unten) noch nicht erlebt. Vor 48 Stunden sind beide aus dem Krisengebiet zurückgekehrt. Im Interview erzählen sie von apokalyptischen Zuständen.
KURIER: Es wird berichtet, dass die Zerstörung ähnlich schlimm wie im Krieg ist. Können Sie diesen Eindruck bestätigen?
Christoph Schweifer: Ich kann nur soviel sagen – es ist eine Mega-Katastrophe. Auch wenn das Wasser langsam zurückgeht, so steht es in Serbien immer noch bis zu den Fenstern. Die Angst der Menschen ist bei jedem Gespräch spürbar. Die Opfer brechen in Tränen aus, weil sie nicht mehr die Kraft haben, nach dem Krieg nochmals ihre Existenz neu aufzubauen.
Birgit Ertl: Jeder Versuch, den Opfern mit Worten Hoffnung zu machen, wirkt lächerlich. Denn die Menschen in diesen Gebieten haben schon soviel mitgemacht, dass sie wissen, was in den nächsten Monaten auf sie zukommt. Dazu kommen Fragen wie: Warum trifft es uns? Wer wird uns helfen? Es macht mich betroffen, wie schuldlos die Menschen hier schon zum zweiten Mal zum Handkuss kommen. Sie verdienen 300 bis 350 Euro im Monat. Das reicht gerade um Strom, Krankenversicherung etc. zu bezahlen. Die Opfer lebten von ihren kleinen Landwirtschaften mit ihren Hühnern und Schweinen. Diese Existenzgrundlage wurde ihnen genommen.
Was unterscheidet die aktuelle Situation vom Balkan-Krieg vor 20 Jahren?
Christoph Schweifer: Der Unterschied ist, im Gegensatz zum Krieg gibt es keinen Hass. Der Krieg hat die Menschen entzweit, hat die Wut und die Gewalt aufgestachelt. Durch die Katastrophe erleben die Menschen hier erstmals so etwas wie Solidarität über die ethnischen Grenzen hinaus. Ich war zwei Tage in Serbien, und als Hilfe aus Kroatien kam, waren die Opfer sehr überrascht.
Birgit Ertl: Nicht wirklich, weil das Wasser eben noch immer sehr hoch steht. Das Wasser ist braun, stinkt, ist mit Öl und Benzin verschmutzt, und es schwimmen Tierkadaver und Würmer aller Art und in allen Farben herum. Die Würmer sind weiß, schwarz rot – so etwas Grausiges habe ich noch nie gesehen. Dazu kommen jetzt auch noch Ratten und eine Gelsenplage. Es herrscht im Moment eine fast skurrile Situation. Am Boden ist alles zerstört, und gleichzeitig herrscht das schönste Urlaubswetter. Die Sonne scheint und es hat 30 Grad. Das ist ein unglaublicher Widerspruch.
Ist der Boden kontaminiert?
Christoph Schweifer: Man darf sich das Wasser nicht als See vorstellen, sondern es ist eine riesige Kloake. Der Verwesungsgeruch liegt in der Luft. Öltanks sind aufgebrochen. Natürlich ist das Wasser kontaminiert. Es sind 2000 Muren abgegangen, wir stehen vor einer logistischen Herausforderung, um in alle betroffenen Dörfer zu kommen. Wenn das Wasser weg ist, kommen die Bauern auf Felder zurück, deren Boden verseucht ist.
Das klingt nach apokalyptischen Zuständen?
Birgit Ertl: Ja, wenn ich mich richtige erinnere, dann wird die Apokalypse immer mit Schlangen dargestellt. Die Würmer haben mich daran erinnert. So stelle ich mir die Apokalypse vor. Das Hochwasser hat in den Menschen eine große Angst vor der Natur ausgelöst – das steckt den Betroffenen in den Knochen.
Was brauchen die Hochwasseropfer nun am nötigsten?
Christoph Schweifer: In den nächsten Monaten sind es Lebensmittelpakete, Hygieneartikel, Kübel und Besen zum Reinigen und natürlich ganz wichtig Futter für die Tiere, die überlebt haben. Die Caritas wird in Serbien 5200 Familien mit Nothilfepaketen in den nächsten zwei Monaten versorgen. Allein dafür benötigen wir 230.000 Euro.
Wo orten Sie die Gründe, dass das Hochwasser diese kilometerlange Spur der Verwüstung hinterlassen konnte?
Christoph Schweifer: Es war das schlimmste Hochwasser der letzten 120 Jahre. Aber natürlich sind die vielen Muren und Schlammlawinen auch deswegen passiert, weil in den letzten Jahren viel abgeholzt wurde, aber keine Aufforstung stattfand. Der Hochwasserschutz ist in Bosnien, Serbien und Kroatien durch die schlechte wirtschaftliche Situation auch auf keinem hohen Standard. All diese Faktoren haben diese Katastrophe möglich gemacht. Was das Leid der Menschen noch zusätzlich steigert, ist die Tatsache, dass nur sehr wenige hier eine Versicherung haben.
Wie lange werden die Hilfsaktivitäten andauern müssen?
Christoph Schweifer: Ich kann nur einen Vergleich heranziehen: Beim Hochwasser 2002 in Österreich haben die Hilfsaktivitäten rund zwei Jahre gedauert.
Die Flut riss 1,6 Millionen Menschen ins Elend. Die Zahl der Toten steigt von Tag zu Tag. So sind rund 50 Menschen am Balkan durch die Jahrhundert-Flut ums Leben gekommen. Davon allein 30 in Serbien. Laut Rotem Kreuz gelten 73 Menschen noch als vermisst. Angesichts dieser dramatischen Opferzahlen ist die Hilfsbereitschaft aus Österreich sehr groß. Dutzende Helfer sind im Krisengebiet. Als die ersten Meldungen des Jahrhundert-Hochwassers kamen, machte sich sofort eine Hilfstruppe der Kärntner Wasserrettung in Richtung Bosnien auf.
Baby gerettet
Am Sonntag gegen ein Uhr in der Nacht kamen die Kärntner im Krisengebiet an. „Gleich zehn Minuten später waren wir schon zum ersten Einsatz unterwegs“, erzählt Walter Leopold. Er ist seit 32 Jahren im Dienst der Kärntner Wasserrettung – doch die letzten Tage am Balkan haben ihn mitgenommen. So viel Leid hat Leopold noch nie bei einem Einsatz gesehen. „Der schlimmste Moment für die Opfer ist, wenn sie das Haus verlassen müssen. Der Abschied fällt schwer, sie haben Tränen in den Augen, weil das schon zum zweiten Mal in ihrem Leben passiert,“ so Leopold. Auch die Freiwillige Feuerwehr aus Niederösterreich ist seit letztem Sonntag im Einsatz. In Schichten retteten sie in der ersten Tagen nonstop Opfer aus dem Hochwasser. „Hier ist einfach Land unter. Pro Nacht holten wir oft 60 Menschen aus den Häusern“, beschreibt Matthias Fischer. Der schönsten Augenblick mitten in der Verwüstung erlebten die Feuerwehrmänner, als sie ein vier Monate altes Baby mit ihren Eltern aus dem ersten Stock befreiten. „Zum Glück sprechen hier sehr viele Deutsch. Die Opfer machten uns auf das Haus aufmerksam, wo die junge Familie wohnte“ , so Fischer.
Rund eine Millionen Menschen sind ohne Trinkwasser. Das Bundesheer schickt nun 80 Soldaten zur Trinkwasseraufbereitung auf den Balkan. Sie sollen pro Tag 50.000 Personen mit Trinkwasser versorgen.
Wenn Sie sich an der Hilfe beteiligen möchten, gibt es hier weitere Informationen:
KURIER-Aktion:
Caritas: Erste Bank IBAN: AT23 2011100001234560 BIC: GIBAATWWXXX, Kennwort: Hochwasser Südosteuropa
Österreichisches Rotes Kreuz: Erste Bank IBAN AT 572011 140014400144 BIC: GIBAATWWXXX, Kennwort Überflutungen Südosteuropa
Weitere Spendenaktionen:
Nachbar in Not, Kennwort "Hochwasser in Südosteuropa" Erste Bank IBAN: AT21.2011.1400.4004.4003 BIC: GIBAATWWXXX
Facebook-Initiative "Hilfsaktion für Flutopfer"
Arbeiter Samariter Bund Österreichs
IBAN: AT97 1200 0006 5412 2001 BIC: BKAUATWW
Diakonie: Erste Bank IBAN: AT85 2011128711966333 BIC: GIBAATWWXXX, Kennwort: Fluthilfe Südosteuropa
UNICEF Österreich: IBAN: AT466000000001516500 BIC: OPSKATWW, Kennwort: Nothilfe Balkan-Flut
Hilfswerk Austria International BAWAG P.S.K. IBAN: AT71 6000 0000 9000 1002 BIC: OPSKATWW Kennwort: Hochwasser Bosnien
Verein hilfhelfen - pomozi.ba Hilfsaktion für Flutopfer in Bosnien und Herzegowina IBAN: AT642011182266475400 BIC: GIBAATWWXXX
Bauern helfen Bauern: Raiffeisenbank Grödig AT75 3801 8000 000 1 0900 IBAN: RVSAAT2S018 www.bhb.sbg.at
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