Gericht billigt Sterbehilfe für Wachkoma-Patienten

Eine Frau steht inmitten von Personen in Roben vor Gericht.
Der Franzose Vincent Lambert erlitt 2008 bei einem Unfall schwere Hirnverletzungen. Nun darf er sterben.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Sterbehilfe für den querschnittsgelähmten Vincent Lambert in Frankreich gebilligt. Die Entscheidung des obersten französischen Verwaltungsgerichts, die künstliche Ernährung des Wachkoma-Patienten Lambert zu beenden, sei kein Verstoß gegen das Recht auf Leben der Europäischen Menschenrechtskonvention, befand die Mehrheit der 17 Richter des EGMR am Freitag in Straßburg.

Nun können die Ärzte mit Zustimmung der Ehefrau Lamberts und mehrerer Geschwister die Magensonde des früheren Krankenpflegers entfernen und ihn sterben lassen. Die Eltern und zwei Geschwister des 38 Jahre alten ehemaligen Krankenpflegers wollten ihn mit künstlicher Ernährung weiter am Leben halten. Das Urteil des EGMR ist endgültig, eine Berufung dagegen nicht möglich.

Das tragische Schicksal von Vincent Lambert hatte in Frankreich seit Jahren für hitzige Debatten zwischen Befürwortern und Gegnern der passiven Sterbehilfe gesorgt. Lambert erlitt bei einem Verkehrsunfall im Jahr 2008 schwere Hirnverletzungen, er liegt seitdem im Wachkoma. Seit 2011 hat sich sein Zustand deutlich verschlechtert, nach Angaben des Rechtsvertreters der Regierung befindet er sich in einem vegetativen Zustand ohne Aussicht auf Besserung.

Gespaltene Familie

Der französische Verfassungsrat hatte im vergangenen Juni den Beschluss der Ärzte gebilligt, die Ernährung des Patienten einzustellen. Daraufhin zogen Lamberts Eltern, ein Bruder und eine Halbschwester vor den Straßburger Gerichtshof.

Bei einer Anhörung im Jänner betonten sie, ein Aussetzen der Nahrungszufuhr wäre nichts anderes als "versteckte Euthanasie" und damit ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Schutz des Lebens. "Vincent ist nicht am Ende seines Lebens, er ist behindert", sagte seine Mutter. Die Eltern machen zudem geltend, dass die Ärzte gegen das Verbot von Misshandlung und Folter verstoßen, sollten sie ihren Sohn verhungern und verdursten lassen.

Lamberts Frau, fünf seiner Geschwister und ein Neffe sprachen sich hingegen für den Tod des 39-Jährigen aus. Sie nehmen an dem Verfahren als Nebenpartei teil. "Er wollte auf keinen Fall in permanentem vegetativen Zustand leben", versicherte der Neffe Francois Lambert bei der Anhörung in Straßburg. Auch Lamberts Frau erklärt, ihr Mann habe sich nie gewünscht, dass sein Leben künstlich verlängert werde. Eine Patientenverfügung von ihm gibt es allerdings nicht.

Der Anwalt der Eltern, Jean Paillot, hat bereits weitere juristische Schritte in Frankreich angekündigt, um Lambert am Leben zu erhalten. Er nannte das Urteil "skandalös" und kein Zeichen von Gerechtigkeit.

Der Straßburger Gerichtshof hat sich bereits mehrfach mit dem Thema Sterbehilfe befasst, dabei ging es aber um das Recht auf Hilfe zum Suizid. So prüfte er im Jahr 2002 die Beschwerde einer jungen Britin, die an einer unheilbaren Krankheit litt, die zu einer Lähmung aller Muskeln führte. Sie wollte sich mithilfe ihres Mannes umbringen, was das britische Gesetz verbietet. Der Gerichtshof wies diese Klage mit der Begründung ab, ein Staat könne nicht zu aktiver Sterbehilfe verpflichtet werden.

Aktive Sterbehilfe - die Tötung auf Verlangen - ist in den meisten europäischen Ländern verboten. Passive Sterbehilfe - der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen - ist dagegen zum Beispiel in Österreich oder Deutschland erlaubt. Einige Regelungen im Überblick:

In ÖSTERREICH ist die passive Sterbehilfe gesetzlich erlaubt. 2006 verabschiedete der Nationalrat ein Patientenverfügungsgesetz. Beihilfe zum Suizid ist aber wie in Deutschland strafbar.

BELGIENS Parlament verabschiedete 2002 eines der liberalsten Sterbehilfe-Gesetze in Europa. Es erlaubt erwachsenen unheilbar kranken Patienten die Tötung auf Verlangen, wenn Ärzte unerträgliche Leiden bescheinigen. Seit 2014 gilt das Gesetz auch für Minderjährige.

DÄNEMARK hat die passive Sterbehilfe 1992 gesetzlich geregelt. Jeder kann lebensverlängernde Maßnahmen - wie künstliche Beatmung - mit einer schriftlichen Erklärung ausschließen. Patienten können auch dann schmerzstillende Mittel bekommen, wenn diese den Tod beschleunigen.

DEUTSCHLAND hat die aktive Sterbehilfe verboten. Wer jemanden auf dessen Wunsch tötet, wird mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft. Passive Sterbehilfe hingegen ist erlaubt. Laut dem deutschen Bundesgerichtshof dürfen Ärzte die Maßnahmen auch dann abbrechen, wenn der Patient noch nicht kurz vor dem Tod steht.

FRANKREICH hat die passive Sterbehilfe erlaubt, aktive Sterbehilfe aber verboten. Auf Wunsch des Patienten kann eine medizinische Behandlung abgebrochen werden, auch wenn das den Tod beschleunigt.

LUXEMBURG erlaubte die aktive Sterbehilfe 2009 als drittes Land in Europa. Ein Arzt darf Schwerstkranken auf deren Wunsch helfen, ihr Leben zu beenden. Allerdings müssen zwei Ärzte unabhängig voneinander feststellen, dass eine Heilung ausgeschlossen ist. Zudem muss der Patient seinen Todeswunsch mehrfach niederschreiben.

Die NIEDERLANDE verabschiedeten ihr Sterbehilfegesetz im April 2002 als erstes Land der Welt. Für Schwerstkranke ist aktive Sterbehilfe seitdem legal. Die Forderung einer Bürgerinitiative, Menschen ab 70 Jahren generell das Recht auf Sterbehilfe einzuräumen, scheiterte 2012 im Parlament.

In der SCHWEIZ ist die "Tötung auf Verlangen" ebenfalls verboten. Die Gesetze erlauben es aber, unheilbar Kranken Gift anzubieten, das diese dann selbst einnehmen. Die Schweizer Organisationen Exit und Dignitas bieten Sterbenskranken an, ihnen auf Wunsch beim Suizid zu helfen. Passive Sterbehilfe ist nicht ausdrücklich geregelt, gilt aber als erlaubt.

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