Ungewollte Bilder, verrückt und groß
Gestern: Und plötzlich entdeckt man, nach einem dichten Arbeitstag, wie sehr die aktuellen Ereignisse eines Tages, an dem über Europa ein Flugzeug mit 150 Menschen abstürzt, das eigene Fühlen und Denken durchdringen. Wie ein feiner, seidener Faden, der gesponnen wird, und der seinen Ursprung in den Tiefen eigener Ängste und Alpträume hat.
In den Büroräumen um mich ist es still, viele Menschen sind bereits nach Hause gegangen, während ich da sitze und versuche, Fakten und Gefühle unter einen Hut zu bringen. Etwas in mir will darüber schreiben, etwas in mir hält mich gleichzeitig ab. Obwohl es für mich längst normal geworden ist, auf Facebook persönliche Gedanken zum Ausdruck zu bringen, halte ich jetzt inne. Dass ich jetzt zögere, hat mit der Angst zu tun, das Falsche zu sagen. Aus dem Gedanken heraus, dass es für ein Ereignis dieser Dimension so gut wie keine passende Worte gibt. Betroffenheitsjournalismus hat mich außerdem immer schon irritiert, speziell wenn individuelles Schicksal und damit verbundenes Fühlen in die mediale „Wir-Form“ transponiert wird, um damit ein Maximum an Reichweite zu generieren.
Ich öffne mein Profil dennoch und lege die Finger auf die Tasten, im Vertrauen, meine Worte zu finden, die aus dem Herzen kommen, jenseits von richtig und falsch. Sondern ehrlich. Ein Bedürfnis, einfach so. Es entsteht folgender, kurzer Text:
„Mich macht der Flugzeugabsturz in Frankreich sehr traurig. Meist verdränge ich Flugzeugabsturzmeldungen, aber diese ist so nah. Und lässt sich schon auch deshalb nicht so einfach ausblenden, weil gemeldet wird, dass sich in der Maschine Austauschschüler aus Deutschland befunden haben. Und die Vorstellung, dass das Kind, dein Kind, eine glückliche Zeit in Barcelona erlebt hat, daheim nichts mehr davon erzählen kann, dass du am Flughafen stehst und wartest und bangst, dass du erfahren musst, dass der Flieger, in dem dieses/dein Kind saß, an einer Felswand in den Alpen zerschellt ist.... nein, nein, das übersteigt einfach meine Grenzen und macht mein Herz ganz eng. Daran muss ich einfach denken, ob ich will oder nicht. Ich fühle mit allen Betroffenen, so sehr.“
Bilder, die ich nicht stoppen kann
Danach habe ich das Gefühl, eine Entscheidung getroffen zu haben, die für mich stimmig ist – den Moment in Worte zu gießen, so wie ich viele persönliche Momente (gute, schlechte, lustige, nachdenkliche) in Worte gieße. Denn nichts anderes sage ich und teile ich als das da: Es geht mir nicht gut mit diesen Ereignissen, ich kann mit den inneren Bildern nicht umgehen. Die Bilder, kommen, ich kann sie nicht stoppen, sie sind einfach da – ob ich möchte oder nicht. Ich trauere. Und dieses Trauern ist keine Inszenierung der inneren Journalistin in mir, sondern das Gefühl jemandes, der selbst zwei Kinder hat. Beide lieben Spanien, im Speziellen Barcelona – und alle haben wir diese Region der Welt schon oft überflogen. Man setzt also das eigene, individuelle Erleben in Relation zu den Ereignissen, um gleichzeitig darüber nachzudenken, ob ich mir das, im ethischen Sinn, überhaupt erlauben darf.
Und plötzlich wird klar, wie sehr Ereignisse dieser Art, wie sehr der Tod uns in jeder Hinsicht aus den Angeln hebt – all das, was wir sind und denken, in Frage stellt, um uns gleichzeitig zutiefst zu verunsichern. In diesem Moment verkleinern sich viele Dinge, während andere verrückt groß werden und sich in die eigene Wahrnehmung zoomen wie ein ungewolltes Bild, das man eigentlich gerne verscheuchen möchte.
Vergleichs-Falle
Selbstverständlich habe auch ich mir die Frage gestellt: Wieso jetzt? Tappte dabei prompt in die „Vergleichs-Falle“: Warum lasse ich 24 Tote im Oster-Verkehr oder einen fernen Flugzeugabsturz nicht so nah an mich heran? Warum liegt dieses Ereignis in den Alpen Frankreichs in meiner Gefühlsskala hingegen so weit oben? Warum lasse ich mich davon so durchdringen? Die Antwort ist komplex und einfach zugleich: Ich kann nicht intellektuell steuern, was mich berührt und was nicht, wo ich mitfühle und wo nicht. Das, was da passiert ist, macht etwas mit mir - und die Gründe dafür liegen ganz tief in mir und meiner Art zu denken, zu leben, zu sein. Mich jedenfalls macht das innere Bild, dass 16 junge Menschen im Alter meiner Tochter plötzlich fehlen, dass 16 Sitzplätze in einem Klassenzimmer leer bleiben, so unendlich traurig, verrückt, ohnmächtig, genauso wie der Gedanke an die Angehörigen mich traurig, verrückt, ohnmächtig machen.
Was bleibt, ist eine Erkenntnis: Wie ein Mensch mit Ereignissen dieser Dimension, mit dem Unermesslichen, umgeht, sollte nicht Gegenstand einer Erläuterung, Belehrung oder Infragestellung sein. Es darf sein, was ist, weil ist, was ist.
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