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Das ignorierte Sterben im Mittelmeer
Binnen sechs Tagen 11.000 Flüchtlinge in Italien gelandet; Rom sieht sich im Stich gelassen.
Die Helfer auf Sizilien haben alle Hände voll zu tun, um die Welle an Flüchtlingsankünften zu bewältigen. In der südsizilianischen Kleinstadt Pozzallo sind am Freitag in der Früh weitere 300 Personen von Bord des Marineschiffes Fiorillo gegangen. 700 Überlebende von vier verschiedenen Schiffbrüchen, die sich in einer einzigen Nacht im internationalen Gewässer vor der italienischen Küste ereigneten, sind im Hafen von Trapani auf Sizilien eingetroffen.
In den vergangenen sechs Tagen konnten insgesamt 1000 Menschen aus Seenot gerettet werden, 11.000 Flüchtlinge kamen in Italien an. Anfang der Woche kam es zu einer der schlimmsten Flüchtlingskatastrophen der vergangenen Jahre. Ein Boot kenterte auf der Überfahrt von Libyen nach Italien: 400 Menschen ertranken, darunter viele Frauen und Kinder.

Die Saison der Überfahrten hat gerade erst begonnen. Im Sommer, wenn die meisten Flüchtlinge die Überfahrt über die tödlichste Migrationsroute der Welt wagen, wird die Zahl der Todesfälle weiter ansteigen, warnt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.
Massenmord an Bord
Italiens Polizei hat ihre Kontrollen bei Schlepperei und Menschenhandel verschärft. Zwölf Personen wurden wegen mutmaßlicher Schlepperei verhaftet, darunter ein junger Mann, der beschuldigt wird, ein Schiff gesteuert zu haben, das vor der Küste Libyens mit 41 Migranten gekentert ist. Am Donnerstag wurden 15 muslimische Flüchtlingen festgenommen, die laut Augenzeugenberichten nach einem Streit zwölf christliche Gläubige über Bord geworfen haben sollen.
Italienisches Fischerboot gekapert
Große Aufregung herrschte am Freitag um ein italienisches Fischerboot, das vor der libyschen Küste von bewaffneten Männern gekapert wurde. Das Fischerboot "Airone" mit sieben Mann an Bord, drei Italienern und vier Tunesiern, war am Abend im sizilianischen Mazara del Vallo in See gestochen. In den frühen Morgenstunden wurde es knapp 30 Seemeilen von der libyschen Küste entfernt entführt.
Die Lage war zunächst völlig unklar. Verwirrung herrschte darüber, ob die Fischer von libyschen Bewaffneten, gar von Dschihadisten des "Islamischen Staates" (IS), von Piraten oder von Armee-Angehörigen in ihre Gewalt gebracht worden waren. Fest steht nur, dass sich auf hoher See zwischen Libyen und Italien dramatische Szenen abgespielt haben.
Während ein italienisches Marineschiff dem gekaperten Fischerboot zu Hilfe eilte, konnte die Lage an Bord unter Kontrolle gebracht werden. "Airone"-Besatzungsmitgliedern und Kapitän Alberto Figuccia sei es gelungen, die beiden Angreifer zu überwältigen und sie in einen Lagerraum einzusperren, hieß es. Danach änderte die Besatzung den Kurs und machte sich, flankiert vom Marineschiff, in Richtung der Insel Lampedusa auf.
Die Angreifer hätten den Kapitän zuvor gezwungen, Richtung libyscher Hafenstadt Misrata zu steuern. "Wir sind sehr besorgt, weil wir nicht wissen, was genau passierte. Es ist davon auszugehen, dass die Fischer unter Schock stehen. Es herrscht großes Bangen, in die Hände von skrupellosen Menschen gefallen zu sein", sagte Giovanni Tumbiolo, Chef der Fischereigenossenschaft aus Sizilien.
In den vergangenen zehn Jahren gab es bereits ein Dutzend ähnlicher Übergriffe. Libyen behauptet, seine Gewässer reichten bis 70 Meilen vor die Küste, was aber international nicht anerkannt wird.
Land im Chaos
Das italienische Außenministerium richtete einen Krisenstab ein und informierte über den Verbleib der "Airone".Das politische Chaos in Libyen ist groß: Verfeindete Milizen kämpfen um die Vorherrschaft. Zwei Regierungen spalten das Land. Der Westen Libyens ist unter Kontrolle der von islamistischen Milizen gestützten Regierung in Tripolis. Das im Juli 2014 gewählte Parlament und die international anerkannte Regierung sitzen inzwischen im Osten des Landes. In diesem Chaos ist es Dschihadisten der Terrormiliz "Islamischer Staat" gelungen, Teile des Landes unter Kontrolle zu bringen.
Berichte, wonach Zehntausende Flüchtlinge auf die Überfahrt nach Europa warten und dass das Schleppergeschäft in Libyen teilweise in Händen des IS sei, setzen Rom zusätzlich unter Druck.
Rettung mit Technik aus Österreich
Ab Mai kommt wieder Hightech aus der Alpenrepublik im Mittelmeer zum Einsatz, um in Seenot geratene Flüchtlinge vor dem Ertrinken zu retten. Konkret: Der Camcopter S-100, ein unbemannter Helikopter des Unternehmens Schiebel mit Hauptsitz in Wien, soll die Flüchtlinge aufspüren. In Echtzeit wird die Drohne dann, die nachts auch Infrarotbilder machen kann, die Informationen an ein Schiff einer gemeinnützigen NGO übermitteln.
Bereits im Spätsommer 2014 war diese Schiebel-Technik im Einsatz. Laut einer Aussendung der Hilfsorganisation "Migrant Offshore Aid Station" (MOAS) konnten damals in nur 60 Tagen 2800 Flüchtlinge geortet und gerettet werden. Die nunmehrige Verwendung der Drohne ab Mai werde von MOAS bezahlt, sagte eine Sprecherin von Schiebel – der Betrieb unterhält Produktionsstätten in Wr. Neustadt und Abu Dhabi sowie Büros in Washington und Phnom Penh.
MOAS wurde von einem in Malta lebenden italienisch-amerikanischen Unternehmerpaar gegründet. Die Organisation verfügt über das 40 Meter lange Boot "Phoenix", das demnächst wieder auslaufen wird.
Die Firma Schiebel wurde 1951 gegründet und konzentriert sich seit Mitte der 1980er-Jahren auf die Entwicklung und Produktion von Minensuchgeräten. Seit rund 20 Jahren hat man sich zudem auf die Drohnen-Technologie spezialisiert. Wegen des Einsatzes der unbemannten Flugkörper in Kriegs- und Krisengebieten wird das Unternehmen aber auch kritisiert. Es hält dagegen, dass die Drohne nicht als Waffenträger genützt werden könne.
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