Etikette für Chinas Aufsteiger

Eine Frau mit dunklen Haaren steht vor einem hellen Gebäude mit Bäumen.
Die neuen Reichen wollen nicht nur beim Konsum an den Westen anschließen.

Wie hält man eine Austerngabel? Welche Arbeitsschritte sind beim stilvollen Schälen einer Mandarine zu vollziehen? Wie spricht man Yves Saint Laurent und andere Luxus-Markennamen korrekt aus? Fragen, auf die neureiche Chinesinnen in Etikette-Kursen Antworten bekommen. Um westliche Manieren zu erlernen, sind sie bereit, Preise bis zu 12.000 Euro in Kauf zu nehmen.

Sara Jane Ho, Gründerin der Etikette-Schule, führt den Boom der Kurse auf das Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahrzehnte zurück. Vor allem für die Frauen der Chinesischen Volksrepublik brachte der Wandel der Gesellschaft einen regelrechten Kulturschock. „Die heutigen neureichen Frauen in China leben erstmals mit den Rollen einer Ehefrau, Mutter, Tochter, Geschäftsfrau in dieser neuen, drastisch veränderten Welt. Für sie gibt es keine Regeln, keine Vorbilder“, so Ho. Ihre Kunden wollen eine Anleitung, um sich die Möglichkeit, eines Tages ins Ausland zu ziehen, offenzuhalten.

Fünf-Uhr-Tee-Regeln

Neben den Kursgebühren fallen Kosten für Kleidung und Schmuckstücke an, die sich die Schülerinnen nach getaner Arbeit gönnen. Elitesportarten wie Golf und Reiten stehen ebenso auf dem Programm wie die englische Teezeremonie und Tischdekoration. Damit man sich beim Plausch mit den Geschäftspartnern der Ehemänner nicht blamiert, gibt es Small-Talk-Übungen. Themen wie Gehalt oder Scheidung sind tabu. Der angemessen Abstand zum Gesprächspartner muss geübt werden. „Intimsphäre ist in China neu“, so Kursleiterin Ho.

Das Konzept der im März eröffneten Benimmschule basiert auf den traditionellen Finishing-Schools, die junge Damen aus wohlhabenden Familien im Westen früher den letzten Schliff verpasst haben. Viele von Hos Schülerinnen buchten den Kurs, nachdem sie bei einer Essenseinladung im westlichen Stil nicht weiterwussten. Problematisch wären vor allem französische Schnecken. „Sie trauen sich nicht, mit dem Essen anzufangen, weil sie Angst vor einer Blamage haben“, sagt Ren Weimin, Chefkoch der Schule.

Die 24-jährige Etikette-Schülerin Wang hält viel von Tischmanieren. Wie jemand isst, Gabel und Messer hält, sage viel über den Charakter eines Menschen aus. Sie ist der Meinung, dass diese Themen in China zu kurz kämen. Nun arbeitet sie an ihrer Haltung, ihrem Geschmack und Selbstvertrauen. Wang, die in London studiert, hofft darauf, dass dadurch der aristokratische Adel vom Geldadel unterschieden werden kann. Harvard-Soziologin Whyte vergleicht die wohlhabenden Chinesen von heute mit den US-Amerikanern des 19. Jahrhunderts. Sie wollten durch tadellose Manieren als ehrenwerte Bürger wahrgenommen werden – unabhängig vom Einkommen.

Kommentare