"Mafia Capitale" sorgt für Empörung

Eine Gruppe von Menschen steht mit Gepäck vor einem Gebäude und einem Polizeiwagen.
Neue Beweise zeigen, dass die Mafia in der Hauptstadt lange de facto mitregierte.

Kurz nach Mitternacht vor der Basilika Santa Maria Maggiore, die nur fünf Gehminuten vom Bahnhof Termini entfernt liegt: Ratten tummeln sich vor dem Brunnen der Piazza. Die Nager trinken Wasser aus dem Bassin und suchen zwischen den Abfällen nach Essensresten. Wenige Stunden zuvor machten es sich noch Touristen und Pilger auf den glänzenden Travertin-Stufen gemütlich.

"Die Ratten von Rom sind ein Symbolbild. Ihr Verhalten erinnert an die Jahre des Diebstahls in der Stadtverwaltung. Sie laufen überall dorthin, wo es zu essen gibt. Unermüdlich, unersättlich, ungestraft", beobachtet Autor Fabrizio Gatti.

Vor einer Woche wurde in der italienischen Hauptstadt ein Mafia-Ring aufgedeckt. Dabei wurden 37 Personen – darunter hohe Funktionäre des öffentlichen Dienstes und der Politik – festgenommen. Als Drahtzieher der Bande von Rom – von italienischen Medien als "Mafia Capitale" tituliert – gilt der verhaftete mutmaßliche Mafia-Boss und ehemalige neofaschistische Terrorist Massimo Carminati. Gegen weitere hundert Menschen wird ermittelt. Unter ihnen befindet sich auch der frühere römische Bürgermeister Gianni Alemanno. Die Vorwürfe lauten Bildung einer mafiösen Vereinigung, systematische Korruption, Kreditwucher und Geldwäsche.

Die Fäden gezogen

Seit den jüngsten Verhaftungen ist offiziell, worüber seit längerem spekuliert wurde: Die Mafia dürfte – wie abgehörte Telefonate beweisen – in der römischen Stadtverwaltung jahrelang die Fäden gezogen haben. Politiker, Unternehmer und Kriminelle dürften dabei Hunderte Millionen Euro an überteuerten städtischen Aufträgen, bei öffentlichen Ausschreibungen und im Bereich der Müllabfuhr verdient haben. Zuletzt versuchten Mafiosi mit der Unterbringung von Flüchtlingen Geschäfte zu machen. Sie sollen öffentliche Gelder, die für Flüchtlingsheime und legale Roma-Siedlungen gedacht waren, veruntreut haben.

Die Ermittlungen ziehen täglich weitere Kreise. Viele Parteien sollen in den Skandal verstrickt sein, darunter auch die Demokratische Partei von Premier Renzi. Der Regierungschef zeigte sich schockiert und entließ umgehend örtliche Parteispitzen.

Wer bei Mafia nur an Sizilien, Kalabrien oder Kampanien denkt, irrt. Die mafiöse Struktur wurde in Rom lokal aufgebaut. Sie ist mit dem rechtsextremen Milieu der 1980er Jahre verstrickt und hat enge Verbindungen zum rechten politischen Lager des früheren Bürgermeisters Alemanno. Was sich derzeit in Rom abspielt, sorgt selbst bei politikverdrossenen Römern für Empörung. "Sie sollten sich schämen. Als Bürgerin fühle ich mich allerdings schon lange betrogen", kommentiert eine Bewohnerin. "Ich frage mich, ob es überhaupt noch Sinn macht, wählen zu gehen."

Roms Bürgermeister, Ignazio Marino, der nicht von den Ermittlungen betroffen ist, muss jetzt endlich "eine Revolution" starten, fordern seine Anhänger. Er will alle verdächtigen öffentlichen Aufträge von der Anti-Korruptionsbehörde überprüfen lassen. Die nächste Hürde wartet auf Marino bei der Bewältigung der Notstandslage in der Müllentsorgung.

Riesige Schuldenberge

Nach der Verhaftungswelle ist die Frage, wer eine der schönsten Städte der Welt so zugrunde gerichtet hat, zumindest teilweise beantwortet. Die Bewohner wunderten sich seit Langen, wo die riesigen Schuldenberge herrühren. Denn in öffentliche Infrastruktur, Erhaltung der Gebäude, Denkmäler und Straßen wird kaum investiert. Besonders schlimm ist die Situation an der wenig Foto-tauglichen römischen Peripherie. In den oft verwahrlosten Randbezirken leben aber mehr als 80 Prozent der rund 2,6 Millionen Einwohner Roms. Anfang des Jahres musste die Regierung von Premier Matteo Renzi die Hauptstadt mit einem Zuschuss von 570 Millionen Euro vor dem Bankrott retten.

"Roma fa schifo", "Rom ist abscheulich"– auf dem Blog www.romafaschifo.com machen Bewohner ihrem Ärger Luft. Präzise dokumentieren sie alle Schwachstellen der chaotischen "Ewigen Stadt".

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