Breivik: Hochsicherheitsgefängnis, kein Kontakt zur Außenwelt

Schlusspunkt im Prozess gegen den norwegischen Massenmörder
Anders Behring Breivik: Ein Osloer Gericht hat den geständigen Attentäter zu mindestens 21 Jahren Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Der 33-Jährige sei zurechnungsfähig, sagte Richterin Arntzen am Freitag. Das Urteil wurde einstimmig getroffen. Der Islamhasser hatte am 22. Juli 2011 bei einem Bombenanschlag in Oslo und einem Massaker auf der Insel Utöya 77 Menschen getötet.
Weil das Gericht zusätzlich zur Höchststrafe eine Sicherungsverwahrung verhängte, die alle fünf Jahre verlängert werden kann, bleibt unklar, ob Breivik jemals wieder das Gefängnis verlassen wird. Unklar ist auch, ob der Verurteilte oder die Staatsanwaltschaft in Berufung gehen.
Breivik hörte den Urteilsspruch mit einem zufriedenen Lächeln. Der 33-jährige Islamhasser hatte auf keinen Fall zum Geisteskranken erklärt werden wollen. Die Einweisung in die Psychiatrie sei für ihn schlimmer als der Tod, hatte er gesagt. Nach norwegischem Recht darf bei begründeten Zweifeln an der Zurechnungsfähigkeit keine Gefängnisstrafe verhängt werden.
Opfer-Anwälte: "Mutige Entscheidung"

Kurz vor Beginn der Urteilsverkündung hob Breivik in dem bis zum letzten Platz gefüllten Gerichtssaal wie schon zum Prozessauftakt die geballte Faust zum rechten Gruß. Während die Richter die 90 Seiten lange Urteilsbegründung verlasen, machte er sich immer wieder Notizen und flüsterte mit seinen Verteidigern.
Im Gerichtssaal war es sehr still, als das Urteil verlesen wurde. Die Angehörigen der Opfer wirkten mitgenommen, aber zufrieden. Einige weinten. Die Opfer-Anwälte zeigten sich mit dem Urteil zufrieden. Das Amtsgericht habe eine "mutige und unabhängige Entscheidung getroffen". Utoya-Überlebende wie der 24-jährige Tore Sinding Bekkedal reagierten mit Erleichterung: "Er wird von der Gesellschaft entfernt. Das ist das Wichtigste."
Wie die fünf Richter - zwei Berufsrichter und drei Schöffen - in der Frage der Zurechnungsfähigkeit entscheiden würden, war mit Spannung erwartet worden. Vor dem Prozess waren zwei Gutachten zu gegensätzlichen Ergebnissen gekommen. Die Staatsanwaltschaft hatte deshalb auf unzurechnungsfähig plädiert. Es sei schlimmer, einen psychotischen Menschen irrtümlich in Haft zu nehmen als einen nicht-psychotischen in eine Zwangspsychiatrie. Viele Norweger hatten sich Breivik dagegen hinter Gittern gewünscht.
Kein Kontakt zur Außenwelt oder Mitgefangenen
Der 33-Jährige wird in das Hochsicherheitsgefängnis von Ila bei Oslo überstellt werden. Dort erwartet ihn eine Zelle, die voraussichtlich vergleichbar sein wird mit der, die er schon während des Prozesses belegte. Diese besteht aus drei Einzelräumen von jeweils etwa acht Quadratmetern. In einem der Zellenräume schläft Breivik, einer ist als Fitnessraum ausgestattet, der dritte dient als Arbeitszimmer.
Im Arbeitszimmer soll ein Laptop auf eine Tischplatte montiert sein, der keinen Internet-Zugang hat. Laut der Zeitung Verdens Gang verfügt er über eine Offline-Version des Internetlexikons Wikipedia. Ob Breivik den Laptop auch nach der Verurteilung nutzen darf, ist noch unklar. Nach Angaben seiner Verteidiger schreibt er an seiner Autobiografie.
In Ila wird er vorerst getrennt von anderen Gefangenen inhaftiert. Auch hat Breivik keinen Zugang zum Internet, um eine Kommunikation mit der Außenwelt zu verhindern. Für Aufregung sorgte ein Verdens-Gang-Bericht, wonach die Haftanstalt geplant habe, Menschen zu bezahlen, um Breivik Gesellschaft zu leisten. Die Gefängnisverwaltung wies das als "Missverständnis" zurück und erklärte, Gefängnismitarbeiter würden damit beauftragt, Breivik zu beschäftigen, mit ihm Fitnessübungen zu machen und mit ihm zu sprechen.
In einer aktuellen von Verdens Gang veröffentlichten Umfrage bewerten 54 Prozent der Norweger die Bedingungen der Unterbringung in drei ihm zur Verfügung stehenden Räumen und Computerzugang als zu "milde".
Kritik an Regierung und Polizei
Breivik hatte zuerst eine Autobombe im Osloer Regierungsviertel gezündet und so acht Menschen getötet. Wenig später nahm er in einem wahren Blutbad auf der Fjordinsel Utöya 69 meist jugendlichen Sozialdemokraten das Leben. 42 Menschen wurden schwer verletzt.
Nach den Anschlägen waren auch Regierung und Polizei in die Kritik geraten. Der Bericht einer Untersuchungskommission hatte eine Debatte ausgelöst - bis hin zu Rücktrittsforderungen an den Ministerpräsidenten von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, deren Jugend zum Opfer Breiviks wurde. Kritiker halten Jens Stoltenberg vor, die Polizei habe beschlossene Sicherheitsvorkehrungen im Regierungsviertel nicht umgesetzt, die den Bombenanschlag womöglich verhindert hätten. Außerdem habe die Polizei zu langsam auf Utöya eingegriffen - viele hätten bei einer schnelleren Reaktion gerettet werden können. Polizeichef Öystein Maeland musste zurücktreten.
Psychiater: "Breivik wird sich noch mehr hineinsteigern"

Der Vorarlberger Kriminalpsychiater Reinhard Haller sieht den Urteilsspruch im Fall Breivik mit gemischten Gefühlen. Warum, erzählt er im Gespräch mit dem KURIER.
KURIER: Herr Professor Haller, wie beurteilen Sie das Urteil im Breivik-Prozess?
Reinhard Haller: Im ersten Moment scheint allen gedient: Breivik lächelt zufrieden, auch die Norweger scheinen erleichtert. Die Richter in Oslo haben die Vorgaben, die die Öffentlichkeit an sie gestellt hat, erfüllt. Allerdings habe ich fachliche Bedenken.
Inwiefern?
Das Gericht in Oslo hat entschieden, dass jemand mit einer akuten Geisteskrankheit, im Falle Breivik ein Wahn, schuldfähig ist. Dieser amerikanische Gedanke stellt die europäische Gerichtspsychatrie und das Rechtssystem vor eine völlig neue Situation. Darüber muss man diskutieren. Dass zwei Gutachten über Breiviks geistige Gesundheit zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen, wirft kein sehr gutes Bild auf die forensische Psychatrie in Europa.
Was bedeutet das Urteil für die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer?
Mit dem Urteil wird dem Sühnegedanken Rechnung getragen. Allerdings müssen die Norweger nun auch akzeptieren, dass Breiviks unglaubliche Taten offenbar Ausfluss eines normalen menschlichen Gehirns waren. Sie müssen die Normalität des Bösen verkraften.
Wie deuten Sie Breiviks Lächeln nach der Urteilsverkündung?
Er fühlt sich durch das Urteil gestärkt in seiner Idee und wird sich nun noch mehr in seine Rolle als Held oder Märtyrer hineinsteigern. Als Idol für Rechtsextreme oder Islamhasser könnte er natürlich auch Nachahmungstäter inspirieren. Das ist sozusagen die unerwünschte Nebenwirkung dieses Urteils. Wäre er für nicht zurechnungsfähig und somit für psychisch krank erklärt worden, bestünde diese Gefahr wahrscheinlich nicht.
Hintergrund: Norwegen kennt keine lebenslange Haftstrafe
Norwegen gehört zu den weltweit rund 20 Staaten, die eine lebenslange Haftstrafe in ihrem Strafrecht abgeschafft haben. Das norwegische Rechtssystem kennt eine Höchststrafe von 21 Jahren Gefängnis. Ein Verurteilter kann dennoch für immer hinter Gittern bleiben - wenn das Gericht beim Urteilsspruch die sogenannte Verwahrung ("forvaring") verhängt, deren Ende ungewiss ist. Auch im Falle von
Anders Behring Breivik entschloss sich das Gericht am Freitag für Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung.
Nach 21 Jahren "forvaring" kann die Strafe zunächst um bis zu fünf Jahre verlängert werden. Da die Anzahl der Verlängerungen um jeweils fünf Jahre nicht begrenzt ist, kann ein so verurteilter Täter bis zu seinem Tod im Gefängnis bleiben.
Psychisch kranke Straftäter, die als vermindert schuldfähig oder schuldunfähig eingestuft werden, kommen ähnlich wie beim deutschen Maßregelvollzug in eine geschlossene Fachklinik. Ein Staatsanwalt kann den Aufenthalt alle drei Jahre verlängern, der Straftäter einmal im Jahr Entlassung beantragen.
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