Boston-Anschlag: Todesstrafe für Tsarnaev

Zwei Jahre nach dem Anschlag auf den Bostoner Marathon ist der überlebende Attentäter Dzhokhar Tsarnaev zum Tode verurteilt worden. Die Geschworenen am Bundesgericht der US-Ostküstenstadt haben am Freitag entschieden, dass der 21-Jährige für den Anschlag am 15. April 2013 hingerichtet werden soll. Das Strafmaß sei "passend" für das "schreckliche Verbrechen", sagte US-Justizministerin Loretta Lynch.
Die Geschworenen hatten Dzhokhar Tsarnaev Anfang April für schuldig befunden, den islamistisch motivierten Anschlag gemeinsam mit seinem später getöteten Bruder Tamerlan verübt zu haben. Seit Ende April ging es in einem zweiten Prozessabschnitt um das Strafmaß. Auf 17 der 30 Anklagepunkte stand die Todesstrafe. Die einzige andere Option der zwölf Männer und Frauen der Jury war lebenslange Haft. Die Geschworenen berieten seit Mittwoch insgesamt 14 Stunden und verurteilten Tsarnaev am Ende in sechs Anklagepunkten einstimmig zum Tode.

Die Tsarnaev -Brüder hatten im Zielbereich des Boston-Marathons zwei selbstgebaute Sprengsätze gelegt, die kurz nacheinander detonierten. Drei Menschen wurden bei dem schwersten Terroranschlag in den USA seit dem 11. September 2001 getötet, mehrere der 264 Verletzten verloren Arme oder Beine. Auf der Flucht hatte das Bruderpaar auch einen Polizisten erschossen und einen Autofahrer entführt. Tamerlan war bei einer Verfolgungsjagd mit der Polizei getötet, Dzhokhar vier Tage nach dem Anschlag festgenommen worden.
"Kalt und gefühllos"
"Dzhokhar Tsarnaev hat kalt und gefühllos eine Terrorattacke verübt, die hunderte Amerikaner verletzt und drei Menschen das Leben genommen hat", erklärte Lynch. Kein Urteil könne die seelischen und körperlichen Schäden wieder gut machen, die der "feige Anschlag" verursacht habe. Lynch drückte aber ihre Hoffnung aus, dass die Opfer und ihre Familien nun zumindest ein bisschen mit dem Geschehenen abschließen könnten.
Tsarnaevs Strafverteidigerin Judy Clarke hatte vergeblich versucht, die Geschworenen milde zu stimmen. In ihrem Schlussplädoyer am Mittwoch hatte sie ihren Mandanten erneut als "verlorenen Jugendlichen" beschrieben, der von seinem sieben Jahre älteren Bruder Tamerlan zu der Tat angestiftet worden sei.
Rechtsmittel gegen Entscheidung
Der Bundesstaat Massachusetts, in dem Boston liegt, hat die Todesstrafe eigentlich abgeschafft. Der Fall wurde aber nach Bundesrecht verhandelt. Tsarnaev steht eine Reihe von Rechtsmitteln zur Verfügung, um gegen das Todesurteil vorzugehen. Die Vollstreckung der Todesstrafe ist auf Bundesebene zudem äußerst selten, seit Wiedereinführung der Todesstrafe in den USA 1976 wurden nur drei Häftlinge hingerichtet. Darunter war Timothy McVeigh, der im April 1995 bei einem Anschlag in Oklahoma City mehr als 160 Menschen tötete.
Die Tsarnaev -Brüder stammen aus einer tschetschenischen Familie und waren als Kinder in die Vereinigten Staaten eingewandert. Dzhokhar Tsarnaev ist seit 2012 US-Staatsbürger und studierte an der University of Massachusetts in Dartmouth Meeresbiologie. Sein älterer Bruder Tamerlan hatte sich dem radikalen Islam zugewandt und soll bei einem Aufenthalt im Kaukasus Anfang 2012 Kontakt zu extremistischen Gruppen gehabt haben.
Unmittelbar nach dem Boston-Anschlag verschickte Dzhokhar Tsarnaev mitfühlende Worte über den Onlinedienst Twitter. "Keine Liebe im Herzen der Stadt. Passt auf Euch auf, Leute", schrieb der damals 19-Jährige. Als er vier Tage später gefasst wurde, bezeichnete er die Anschlagsopfer als "Kollateralschaden". Das Todesurteil vom Freitag könnte aus dem "normalen Teenager" einen Märtyrer machen.
Seinen Verteidigern gelang es im Prozess vor einem US-Bundesgericht nicht, die Geschworenen von der Reue ihres Mandanten zu überzeugen. Tsarnaev sei ein ganz normaler Teenager gewesen, der von seinem auf der Flucht vor der Polizei getöteten Bruder Tamerlan zum islamischen Extremismus verführt worden sei.
Islamistische Kritzeleien
Doch die Worte, die Dzhokhar Tsarnaev kurz vor seiner Festnahme an die Innenwand eines Bootes im Bostoner Hafen gekritzelt haben soll, zeichnen ein anderes, dunkleres Bild. Medienberichten zufolge bezeichnete der damals 19-Jährige die Opfer des Anschlags darin als "Kollateralschaden" und warf der US-Regierung die Tötung "unschuldiger Zivilisten" im Irak und in Afghanistan vor. "Wir Muslime sind ein Körper. Wer einen von uns tötet, verletzt uns alle", schrieb er demnach weiter.
Die blutverschmierte Botschaft an der Bootswand bestärkte die Ermittler in ihrer Annahme, dass Dzhokhar Tsarnaev und sein älterer Bruder Tamerlan den Anschlag am 15. April 2013 mit einem islamistischen Motiv verübten. Drei Menschen kamen bei der Explosion der beiden selbst gebauten Bomben ums Leben, mehr als 260 Menschen wurden verletzt. Auf ihrer Flucht sollen die Brüder außerdem einen Polizisten erschossen haben. Auch der 26-jährige Tamerlan kam ums Leben, bei einer Verfolgungsjagd mit der Polizei.

Anwälte zweifelten Jury an
Der Prozess gegen Dzhokhar Tsarnaev begann im Jänner, zwei Monate lang wurden die zwölf Geschworenen ausgewählt. Die Verteidigung drang mit ihrem Antrag nicht durch, das Verfahren an einen anderen Ort zu verlegen. Tsarnaevs Anwälte bezweifelten nämlich, dass sich in Boston eine unvoreingenommene Jury finden lässt.
Mitte April folgte der Schuldspruch, im zweiten Prozessteil ging es dann um das Strafmaß. Die Verteidigung räumte die Schuld ihres Mandanten offen ein, und versuchte so ein mildes Urteil zu erreichen. "Er war es", sagte Verteidigerin Judy Clarke. Prozessbeobachter wie der kalifornische Ex-Richter und Todeskandidaten-Anwalt Bill Blum waren überzeugt, dass Tsarnaev mit dem Leben davonkommen würde. "Es wird schwer für diese Jury, ein Todesurteil zu fällen", sagte er.
Märtyrer für islamistische Welt?
Nun kam es anders, und auch US-Justizministerin Loretta Lynch begrüßt die Höchststrafe für den Boston-Attentäter. Das Strafmaß sei "passend" für das "schreckliche Verbrechen", erklärte sie. Jubilieren werden freilich auch islamistische Extremisten, die die Hinrichtung des bubenhaften gebürtigen Tschetschenen propagandistisch ausschlachten könnten.
Dzhokhar Tsarnaev wurde 1993 in der früheren Sowjetrepublik Kirgistan geboren, seine Familie stammt ursprünglich aus Tschetschenien. Später lebten die Tsarnaevs in der russischen Kaukasus-Republik Dagestan, ehe sie 2002 in die USA auswanderten. Seine Jugend verbrachte Dzhokhar Tsarnaev im Bostoner Vorort Cambridge, war Kapitän des Ringer-Teams seiner High School und bekam dank guter Noten ein Universitätsstipendium. Der junge Mann mit dem zerzausten Haarschopf schrieb sich an der University of Massachusetts in Dartmouth für Meeresbiologie ein, 2012 erhielt er die US-Staatsbürgerschaft.
Dzhokhar Tsarnaev war US-Medien zufolge dem Partyleben an der Uni nicht abgeneigt, rauchte manchmal Marihuana und brüstete sich auf Twitter mit seinen Eroberungen. Unklar ist, wann er sich radikalisierte. Vielleicht spielte die Trennung seiner Eltern im Herbst 2011 eine Rolle. Zunächst ging der Vater, dann auch die Mutter zurück nach Russland. Entscheidend dürfte aber der Einfluss seines Bruders Tamerlan gewesne sein, der sich immer stärker dem Islam zuwandte, im Jahr 2012 für mehrere Monate in den Kaukasus reiste und dort auch Kontakt zu extremistischen Gruppen knüpfte.
Der Boston-Attentäter Dzhokhar Tsarnaev ist zum Tode verurteilt worden. Der Bombenanschlag auf den Marathon in der US-Ostküstenstadt vor knapp zwei Jahren war der schwerste terroristische Angriff in den USA seit dem 11. September 2001. Fast fünf Tage lang hielten die Attacke und die anschließende Flucht der Brüder Dzhokhar und Tamerlan Tsarnaev die Vereinigten Staaten in Atem:
Montag, 15. April 2013: Mehr als 20.000 Sportler nehmen am Marathon in Boston teil, hunderttausende Zuschauer säumen die Straßen. Der Lauf ist die älteste jährliche Marathon-Veranstaltung der Welt und wird seit dem Jahr 1897 ausgetragen. Um 14.49 Uhr (Ortszeit) explodieren in der Nähe der Ziellinie auf der Boylston Street binnen weniger Sekunden zwei selbstgebaute Sprengsätze. Drei Menschen sterben, mehrere der 264 Verletzten verlieren Arme oder Beine. Die Bundesbehörden nehmen Ermittlungen auf, zunächst gibt es aber keine heiße Spur.
Dienstag, 16. April 2013: Gerüchte über mögliche Täter machen in Boston die Runde, ein Student aus Saudi-Arabien wird fälschlicherweise beschuldigt. US-Medien berichten, dass Schnellkochtöpfe für den Bombenbau verwendet wurden, die mit Metallsplittern gespickt waren. Die Sprengsätze wurden in Rucksäcken versteckt abgelegt. Die Ermittler sichten viele Stunden Material von Überwachungskameras in der Boylston Street. Präsident Barack Obama bezeichnet den Anschlag als "Akt des Terrors", die Umstände der "abscheulichen und feigen" Tat seien aber noch unklar.
Mittwoch, 17. April 2013: Die Behörden fahnden nach einem Mann, der in Videoaufnahmen durch verdächtiges Verhalten am Tatort aufgefallen ist. Medienberichte über eine Festnahme erweisen sich aber als falsch. Der damalige Gouverneur des US-Bundesstaats Massachusetts, Deval Patrick, bittet die Bevölkerung um Geduld. "Ich wünschte, sie hätten den Täter Minuten nach dieser Katastrophe gefasst, aber ich weiß aus Erfahrung, dass es etwas Zeit in Anspruch nimmt", sagt Patrick.
Donnerstag, 18. April 2013: Boston gedenkt der Anschlagsopfer mit einem Trauergottesdienst, an dem auch Obama teilnimmt. Am späten Nachmittag veröffentlicht die Bundespolizei FBI die Fahndungsfotos von zwei Verdächtigen: Auf ihnen sind die Tsarnaev-Brüder mit einer weißen und einer schwarzen Baseball-Kappe zu sehen. Gegen 22.20 Uhr fallen auf dem Campus des Massachusetts Institute of Technology Schüsse, ein Polizist stirbt. Die Behörden machen dafür das Brüderpaar verantwortlich, das später einen Mercedes-Sportgeländewagen kapert und den Fahrer entführt. Die Geisel kann an einer Tankstelle entkommen.
Erst am Freitagabend gegen 18.30 Uhr finden die Einsatzkräfte Dzhokhar der sich in einem trockengelegten Boot im Garten eines Wohnhauses in Watertown schwer verletzt verschanzt. Um 20.45 Uhr vermelden die Behörden die Festnahme. "GEFASST!!! Die Jagd ist beendet. Die Suche ist erledigt. Der Terror ist vorüber. Und die Gerechtigkeit hat gesiegt. Verdächtiger in Gewahrsam", schreibt die Bostoner Polizei kurz darauf im Onlinedienst Twitter. Kritzeleien von Tsarnaev auf der Innenwand des Bootes deuten auf einen islamistischen Hintergrund der Tat hin.
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