Vatikan ist über Coming-out verärgert

Ausgerechnet zu Beginn der Familiensynode zündete ein Priester eine kleine "Bombe". Papst hält die Familie hoch.

Nach dem Outing des polnischen Geistlichen Krysztof Charamsa, der sich ausgerechnet zu Beginn der Familien-Synode zu seiner Homosexualität bekannte, geht ein " Tsunami" durch die katholische Kirche. Sein Coming-out sollte ein Appell an die Synode sein, "ihr paranoides Handeln gegenüber sexuellen Minderheiten aufzugeben", erklärte Charamsa.

Ein Priester gestikuliert neben einem Mann mit kariertem Sakko.
epa04961427 Monsignor Krzysztof Charamsa (L), second secretary of the Vatican's International Theological Commission, and his partner Eduardo at the end of a press conference in Rome, Italy, 03 October 2015. A Vatican theologian who told a Milan newspaper he is gay will not be allowed to continue working in his professional capacities, a Vatican spokesman said 03 October 2015. Krzysztof Charamsa told the daily newspaper Corriere della Sera he was gay. "I would like the Church and my community to know who I am: a homosexual priest, happy and proud of my own identity," Charamsa told the Milan paper. EPA/LUCIANO DEL CASTILLO
ImVatikanzeigte man sich bestürzt und enthob ihn umgehend seines Amtes in der Glaubenskongregation. Der 43-Jährige war Sekretär der internationalen vatikanischen Theologenkommission und lehrte an einer päpstlichen Hochschule. Vatikan-Sprecher Federico Lombardi verurteilte die Äußerungen des Geistlichen als "schwerwiegend und unverantwortlich". Charamsa, der seinen Partner der Öffentlichkeit vorstellte, lässt sich nicht einschüchtern: "Ich widme mein Bekenntnis den zahlreichen homosexuellen Geistlichen, die sich nicht trauen, die Wahrheit zu sagen." Auf die Frage, ob es im Vatikan besonders viele Homosexuelle gäbe, erklärte der Pole: "In jeder Gesellschaft, in der nur Männer zusammenleben, ist der Anteil höher als im Rest der Welt."

In den Papst setzt der abgesetzte Priester große Hoffnungen: Denn Franziskus hätte wieder die "Schönheit des Dialogs und des Gesprächs" in den Mittelpunkt gerückt.

Feldlazarett Kirche

Bei der Eröffnungsmesse der Familien-Synode am Sonntag im Petersdom sprach Papst Franziskus von der katholischen Kirche als "Feldlazarett mit offenen Türen" für alle, die um Hilfe bitten: "Eine Kirche mit geschlossenen Türen betrügt sich selbst und ihre Mission – denn statt einer Brücke errichtet sie eine Barriere."

In seiner Predigt warnte Franziskus weiters vor der extremen Konsumkultur. "Man erlebt den Widerspruch einer globalisierten Welt mit vielen Luxuswohnungen, aber immer weniger die Wärme im Haus und in der Familie. Es gibt viel Spaß, aber auch eine tiefe Leere im Herzen. Viel Freiheit, aber wenig Autonomie. Immer mehr Menschen fühlen sich einsam", sagte der Pontifex. In der heutigen Welt sei es immer schwieriger, eine stabile Beziehung aufzubauen. "Die dauerhaft, treue und stabile, fruchtbare Liebe wird immer mehr verhöhnt und als Sache der Vergangenheit betrachtet", so Franziskus.

Bei der dreiwöchigen Synode bis zum 25. Oktober beraten 270 Bischöfe und Kardinäle über die Haltung der Kirche zur Frage, unter welchen Voraussetzungen wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion zugelassen werden. Es wird auch um Patchworkfamilien, künstliche Empfängnisverhütung, Abtreibung und die Weitergabe des Glaubens an die junge Generation gehen.

Der lächelnde Krzysztof Charamsa flimmerte am Wochenende unentwegt über Polens Bildschirme. "Möge er auf den Weg der Weihe Christi zurückkehren", verlangte sein Bischof Ryszard Kasyna von der nordpolnischen Diözese Pelpin, wo Charamsa einst studiert hatte.

Gerade der polnischen Bischofskonferenz kommt das Outing eines polnischen Geistlichen sehr ungelegen. Denn das Gros des Episkopats ist weit konservativer als Papst Franziskus. Vor der Familien-Synode beriefen sich die Bischöfe auf die vielen "gesunden polnischen Familien" und verurteilten andere Partnerschaften als "ehefeindliche Ideologie", die die katholische Kirche gefährden könne. Derzeit gehen die Bischöfe vor allem mit harter Sprache gegen künstliche Befruchtung, Abtreibung oder jegliche Partnerschaftsform außerhalb der Ehe vor. Entsprechende Liberalisierungen können im Sejm, dem polnischen Parlament, auf Druck der Kirche hin nicht verändert werden.

Die liberal-konservative Regierungspartei "Bürgerplattform" (PO) darf sich gerade keine allzu progressive Position erlauben, da sie in Umfragen zehn Prozentpunkte hinter der erzkonservativen "Recht und Gerechtigkeits"-Partei (PiS) steht und fürchtet, die Parlamentswahl Ende Oktober zu verlieren.

Darum tat Jacek Protasiewicz, ein Mitglied der PO, im Fernsehen den Auftritt des Geistlichen als "PR-Aktion" ab. Für einige Rechte ist Charamsa schon kein Katholik mehr, nur die Linke begrüßte das Bekenntnis.

Auch wenn Polen mit 90 Prozent Katholiken oft als "erzkatholisches" Land bezeichnet wird, so wenden sich doch immer mehr Menschen vom autoritären Kurs der Kirche ab. Seit dem Tod des verehrten Papstes Johannes Paul II. im Jahre 2005 verlor der Klerus deutlich an Ansehen. Vergehen wie Kindesmissbrauch werden offen angesprochen, auch rebellische Priester haben ihre Plattform. Das Outing Charamsas wird in den Medien breit diskutiert.

Mit seiner herzlichen, erfrischenden, lockeren, bisweilen unkonventionellen Art hat Papst Franziskus die Herzen der Katholiken gewinnen können – und nicht nur diese. Wohltuend unterscheidet er sich von seinem steifen Vorgänger, dem rigiden Dogmatiker Benedikt XVI. Das Gesicht ist freundlicher geworden, die (Sexual-)Moral aber, die blieb gleich streng.

Seit gestern mühen sich an die 300 geistliche Würdenträger in Rom, in Familienfragen zumindest ein bisschen zeitgemäßer zu werden – wie schwierig das aber ist, zeigt das Outing eines polnischen Geistlichen und die umgehend klar ablehnende Reaktion des Vatikan. Zu einer Änderung der katholischen Sexualmoral müsste ein Wunder geschehen. Denn einerseits ist der Pontifex Maximus, was die Unauflöslichkeit der Ehe sowie die Ablehnung von Homo-Partnerschaften betrifft, ebenso konservativ wie ein Großteil des hohen Klerus. Andererseits sind gerade die Hardliner besonders laut und werden jede noch so kleine Lockerung blockieren.

Dazu kommt, dass eine Liberalisierung der kirchlichen Lehre vor allem in Europa und den USA Thema ist. In Afrika, Lateinamerika und Teilen Asiens ticken die religiösen und sozialen Uhren anders. Gerade in Afrika etwa ist Homosexualität weitgehend verpönt, Schwule und Lesben werden mitunter offen verfolgt.

Der Vatikan wird jetzt drei Wochen lang einen Minimal-Kompromiss ausbrüten, vielleicht nicht einmal das. Das ist mehr als schade. Denn gerade in unserer so unübersichtlich gewordenen Zeit könnte die Kirche den Menschen Halt geben. In Sozialfragen beispielsweise steht sie mittlerweile stets an der Seite der Marginalisierten. Doch in anderen Belangen ist sie absolut weltfremd und nimmt sich damit aus dem Spiel: Denn welcher Jugendliche kann eine Institution ernst nehmen, die ihm die Verwendung von Verhütungsmitteln verbietet?

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