"Retraumatisierung": Magdeburg-Attentäter schrieb Opfern Briefe

Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg (Sachsen-Anhalt) bestätigte auf Anfrage, dass Taleb A. fünf Geschädigte angeschrieben habe. Da sich der Attentäter noch in Untersuchungshaft befinde, hätten die Anschreiben nicht zurückgehalten werden können, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft.
Die Magdeburger Volksstimme hatte zuvor aus einem der Briefe zitiert. Taleb A. habe das Opfer darin unter anderem um Verzeihung gebeten, gleichzeitig aber auch Äußerungen und Anschuldigungen rund um saudische Asylbewerber gemacht, denen angeblich der Tod drohe. Ähnlich hatte sich der Attentäter auch bereits vor seiner Tat in den sozialen Netzwerken geäußert.
"Opfer schützen und Retraumatisierungen verhindern"
Es wird vermutet, dass die Adressen der Opfer aus den Ermittlungsunterlagen stammen. Mehrere Politiker aus Sachsen-Anhalt reagierten empört über die Zustellung der Briefe. Die Generalstaatsanwaltschaft sei in der Pflicht, nicht nur die Ermittlung voranzutreiben, sondern auch den Schutz der Opfer zu berücksichtigen, sagte der justizpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Guido Kosmehl. „Damit ist es auch ihre Aufgabe, alles zu unternehmen, um die Opfer zu schützen und Retraumatisierungen zu verhindern.“
Wenn es rechtlich schon nicht möglich gewesen wäre, die Briefe zurückzuhalten, hätte die Staatsanwaltschaft vorher den Kontakt mit den Opfern suchen müssen, sagte der Obmann der SPD-Landtagsfraktion im Untersuchungsausschuss zum Anschlag, Rüdiger Erben.
Die Generalstaatsanwaltschaft wies darauf hin, dass die Schreiben in einem separat verschlossenen Umschlag mit einem Begleitschreiben weitergeleitet worden seien, in dem darauf hingewiesen worden sei, dass es den Empfängern freistehe, von dem Schreiben Kenntnis zu nehmen.
Taleb A. war kurz vor Weihnachten im vergangenen Jahr mit einem Auto über den Magdeburger Weihnachtsmarkt gerast und hatte dabei sechs Menschen getötet und rund 300 zum Teil schwerst verletzt. Er sitzt derzeit in Berlin in Untersuchungshaft. In Magdeburg wird derzeit aufgrund der Vielzahl der Betroffenen ein provisorischer Gerichtssaal gebaut, in dem der Prozess gegen den Mann aus Saudi-Arabien starten soll.
Briefe aus U-Haft geschrieben: Rechtsänderung gefordert
Der Bundesopferbeauftragte Roland Weber sprichts sich für eine Gesetzesänderung aus, um die Weitergabe etwa von Adressdaten zu beschränken. Die aktuelle Rechtslage sei zwar nachvollziehbar, aber „wir haben dabei komplett den Opferschutz außer Acht gelassen“, sagte Weber.
Er wies darauf hin, dass Beschuldigte in der Untersuchungshaft besondere Rechte und damit auch Zugang zu entsprechenden Informationen hätten. So würden Anschriften von Zeugen etwa nur dann geschwärzt, wenn es konkrete Hinweise gebe, dass diese unter Druck gesetzt werden könnten. Er sei daher froh, dass die aktuelle Bundesregierung das Thema bereits im Koalitionsvertrag vereinbart habe, sagte Weber. Es gehe nicht darum, die Rechte der Beschuldigten einzuschränken, sondern darum, dass die Belange der Geschädigten berücksichtigt würden. „Ich möchte der Staatsanwaltschaft keinen Vorwurf machen, die haben ganz streng nach der Gesetzeslage gehandelt“, sagte der Opferbeauftragte. Manchmal bedürfe es offenbar eines solchen Falls, damit die Lage deutlich werde. „Jetzt erkennt man, dass die Opfer verunsichert sind.“
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