Ungewöhnlicher Traumjob: Wenn Jugendliche von einer Schafherde träumen

Marco Sozzi sieht wie ein typischer Jugendlicher im heutigen Italien aus: Das blondierte Haar trägt er kurz, am rechten Ohr einen silbernen Ring, um den Hals eine Maschenkette. Die Zukunftswünsche des 20-Jährigen aber sind außergewöhnlich: Er träumt von einer Schafherde.
Marco ist einer von acht erfolgreichen Bewerbern – fünf Männer und drei Frauen –, die es in das Schäfer-Ausbildungsprogramm LIFE Shep for Bio geschafft haben. Der Ansturm war unerwartet groß, erzählt Koordinator Davide Alberti: „Wir hatten Angst, keine sechs Bewerber für unser Projekt zu finden. Doch wir haben 160 Anträge bekommen.“
Alberti koordiniert Projekte zur Erhaltung der Biodiversität im Nationalpark Foreste Casentinesi, Monte Falterona und Campigna. Bekannt ist dieser Nationalpark, der sich zwischen der Emilia-Romagna und der Toskana erstreckt, weil hier das Benediktiner Kloster Camaldoli sowie das Franziskaner Kloster La Verna stehen. Außerdem befindet sich hier eines der unberührtesten und zum UNESCO-Kulturerbe gehörenden Waldgebiete Europas.
LIFE Shep for Bio ist noch in der Pilotphase. Das Ziel? Über einen Zeitraum von vier Jahren jährlich sechs bis acht Schäfer ausbilden. Das Projekt gehört zum EU-Umweltförderprogramm LIFE, das dem Artenschutz sowie der Erhaltung der Lebensräume dient, erklärt Alberti: „Dazu zählen auch die vom Menschen geschaffenen Weideflächen.“
Klein, aber wichtig
Es gehe hier nicht um große Gebiete, der ganze Nationalpark misst 36.000 Hektar und ist zum Großteil bewaldet. Trotzdem sei es wichtig „diese zu erhalten, weil sie mittlerweile zum Lebensraum von Vögeln und anderen Tierarten geworden sind, die ohne diesem Habitat aussterben würden.“ Und damit sich der Wald die Weiden nicht wieder einverleibt, braucht es Schafe und Rinder – und demzufolge Schäfer und Hirten.
Das Durchschnittsalter der 160 Projektbewerber lag zwischen 35 und 40 Jahren. Manche hatten bereits Erfahrung im Bereich, andere aber wollten ihrem alten Leben „Adieu“ sagen und einen völlig neuen Weg einschlagen. „Zu den Auswahlkriterien gehörten, dass die Kandidaten schon auf ein Zukunftsprojekt hinarbeiteten und wenn möglich aus der Gegend des Nationalparks kamen. Da sich so viele beworben hatten, war die Wahl trotzdem sehr schwer“ erzählt Alberti.
Marco Sozzi und seine Kollegen sollen den Schäferberuf in zwölf Theorie-Modulen und einem Praktikum erlenen. Universitätsprofessoren und Agrarunternehmer werden den Schülern ihr Wissen weitergeben – von Biologie und Weidennutzung über Vorkehrungen für die Gesundheit der Tiere sowie gegen Raubtierangriffe bis hin zum EU-Regelwerk ist alles dabei.
Nach seinem Abschluss würde er sich mit 70 bis 80 Tieren zufriedengeben, sagt Marco: „Damit könnte ich immerhin geschäftlich was anfangen – mit den zehn, die ich im Moment habe, geht nichts“. Der junge Mann ist in der Lombardei zu Hause, das Treffen mit dem KURIER findet aber in Rocca San Casciano statt – eine Gemeinde, die an den Nationalpark grenzt. Hier im Landwirtschaftsbetrieb „Mezza Ca“, der neben Rinder auch Schafe züchtet, hat er den ersten Teil des Praktikums absolviert.
Auf die Frage, wann er seine Leidenschaft für die Schafe und den eher ungewöhnlichen Beruf des Schäfers entdeckt hat, antwortet er: „Ich war so um die 8 Jahre alt. Wenn vor dem Haus meiner Großmutter ein Schäfer mit seiner Herde vorbeikam, hielt ich ihn an und stellte einen Haufen Fragen. Mit 17 hab ich mich dann bei Schafzüchtern gemeldet und mehrere Monate auf ihre Herde aufgepasst. Geschlafen hab ich in einem Wohnwagen.“

Marco (wollte nicht mehr Bücher wälzen. Sein Wunsch ist es, bald eine Schafherde mit 70 bis 80 Tieren zu besitzen
Praxis statt Theorie
Die Schule hat Marco kurz vor der Matura geschmissen, obwohl es sich um eine Agrarschule handelte: „Ich wollte nicht mehr Bücher wälzen, die mir sowieso nichts beibrachten, sondern den Beruf erlernen.“
Genau das tut er jetzt. Dass er deswegen um vier Uhr morgen aufstehen muss, um die Schafe zu melken, anstatt bis in die frühen Morgenstunden mit seiner Freundin in einer Disco zu tanzen, nimmt er gerne in Kauf.
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