Corona in deutschen Schlachthöfen: 183 Fälle in einem Betrieb

Unternehmer wegen Schlachthof-Arbeit angeklagt
Gerade für ausländische Kräfte in Sammelunterkünften ist die Infektionsgefahr besonders hoch. Ruf nach besseren Arbeitsbedingungen und dichterem Kontrollnetz.

Die Schlachtindustrie in Deutschland steht wegen der hohen Zahl von Corona-Infektionen unter ihren Mitarbeitern in der Kritik: Politiker und Gewerkschafter forderten am Samstag schärfere Kontrollen und bessere Arbeitsbedingungen - gerade auch für ausländische Kräfte in Sammelunterkünften, wo die Infektionsgefahr besonders hoch ist.

Der Fraktionschef der deutschen Grünen, Anton Hofreiter, sprach gegenüber AFP von einem "ausbeuterischen Geschäftsmodell", mit dem nun "Schuss sein" müsse. "Corona offenbart die unhaltbaren Zustände in einigen Schlachthöfen", sagte Hofreiter zu AFP. "Schon vor der Krise war bekannt, wie mies die Hygiene in vielen Betrieben ist. Das liegt auch an den extrem schlechten Arbeitsbedingungen - von mangelhafter Ausrüstung bis ausbeuterischen Arbeitszeiten." Ein "zentrales Problem" sei die Unterbringung in "überbelegten, miserablen Unterkünften".

Bereits 183 Infizierte bei "Westfleisch"

Im Landkreis Coesfeld im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen haben die Gesundheitsbehörden weitere Mitarbeiter eines von der Corona-Pandemie betroffenen Schlachtbetriebs untersucht. Unter den Mitarbeitern seien bis Samstag 183 Infektionen mit dem Virus nachgewiesen worden, teilte der Landkreis mit. Insgesamt seien bei knapp 920 der rund 1200 Mitarbeiter Abstriche entnommen worden.

Die Laborauswertungen dauerten noch an. Mehrere Teams des Kreisgesundheitsamtes seien auch am Samstag unterwegs gewesen, um die Beschäftigten des Schlacht- und Zerlegebetriebes in ihren Unterkünften zu testen. Dem betroffenen Betrieb habe der Kreis in der Nacht die Ordnungsverfügung zur vorübergehenden Schließung zugestellt. Bis zum 17. Mai 2020 seien nun Schlachtung, Zerlegung, Verpackung, Verladung und Versand am Standort in Coesfeld komplett untersagt.

"Das kann nur ein Anfang sein", sagte der deutsche Sozialpfarrer und Menschenrechtsaktivist Peter Kossen der deutschen Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): "Die Reißleine musste gezogen werden, weil offensichtlich wurde, dass man sich auf die Zusagen der Betriebe nicht verlassen kann." Das betreffe nicht nur "Westfleisch", sondern auch viele andere Fleischfabriken. "Ein Systemwechsel ist dringend notwendig", ergänzte der Theologe.

Kossen demonstrierte am Samstag laut Kathpress mit einer angemeldeten "Ein-Mann-Demo" gegen die Arbeitsbedingungen in Fleischfabriken und Schlachthöfen. Fast drei Stunden lang stand er mit Schildern wie "Moderne Sklaverei beenden" vor dem Werkstor von "Westfleisch"

Notfallmechanismus in NRW

Nordrhein-Westfalen hatte am Freitag als erstes deutsches Bundesland den Notfallmechanismus bei einem gehäuften Auftreten von Coronavirus-Infektionen in Kraft gesetzt. Dort sollen die Corona-Auflagen nun zunächst nicht wie eigentlich geplant gelockert werden. Anlass war das Auftreten zahlreicher Erkrankungen bei Mitarbeitern eines Schlachthofs im Landkreis Coesfeld, die meisten von ihnen stammen aus Osteuropa.

Festzuhalten ist, dass es bei der Problematik nicht um eine Infektiösität des Fleisches geht. Lebensmittel sind kein gängiger Infektionsweg.

Strengere Kontrollen

Deutschlands Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) forderte die Bundesländer am Freitag in einem Brief "eindringlich" auf, angesichts der neuen Corona-Fälle den Arbeitsschutz für Saisonarbeiter in der Landwirtschaft und in der Fleischindustrie streng zu kontrollieren, wie NDR und WDR berichteten. "Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Situation in Sammelunterkünften und beim Personentransport zu legen." Er verwies auf Berichte über "unhaltbare Zustände beim betrieblichen Infektionsschutz".

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) verwies darauf, dass die Schlachtbranche trotzdem seit Jahren "immer wieder mit miserablen Arbeitsbedingungen" auffalle. "Die Kontrollen in der Schlachtbranche müssen deshalb dringend verschärft werden, und die Finanzkontrolle Schwarzarbeit sollte hier auch verdachtsunabhängig mehr Stichproben machen", erklärte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel.

AfD zieht ihre Schlüsse

Ganz andere Schlussfolgerungen aus den Corona-Fällen in der deutschen Schlachtbranche zog die rechtspopulistische AfD (Alternative für Deutschland). Dort wurde darauf hingewiesen, dass das Virus vor allem bei Mitarbeitern aus dem EU-Ausland aufgetreten sei. "Ausländische Saisonarbeitskräfte sollten nur noch dann einreisen dürfen, wenn Sie durch einen aktuellen Test nachgewiesen haben, dass sie nicht oder nicht mehr infektiös sind", hieß es.

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