Schüsse in Hamburg mit acht Toten: Was man über den Täter weiß
Nach Schüssen in einem Gebäude der Zeugen Jehovas in Hamburg gibt es nach Stand Freitagnachmittag acht Tote und acht Verletzte. Das teilte Innensenator Andy Grote (SPD) am Freitag bei einer Pressekonferenz mit. Zu den Toten zählt die Polizei auch den Täter sowie ein ungeborenes Kind, das im Mutterleib getroffen wurde. "Eine Amoktat dieser Dimension - das kannten wir bislang nicht. Das ist die schlimmste Straftat, das schlimmste Verbrechen in der jüngeren Geschichte unserer Stadt." Alle Todesopfer sind nach Polizeiangaben deutscher Staatsangehörigkeit.
Unter den Toten sei zudem "offenbar auch der mutmaßliche Täter", wie die Polizei Hamburg am Freitagmorgen auf ihrer Internetseite mitteilte.
Die Polizei sei am späten Donnerstagabend gegen 21.15 Uhr telefonisch informiert worden. Eine Nachbarin berichtete von mehreren Schüssen bei der Veranstaltung der Zeugen Jehovas. "Es waren ungefähr vier Schussperioden. In diesen Perioden fielen immer mehrere Schüsse, etwa im Abstand von 20 Sekunden bis einer Minute", berichtete Studentin Lara Bauch am späten Donnerstagabend. "Ich habe dann weiter aus dem Fenster geschaut und bei den Zeugen Jehovas eine Person ganz hektisch vom Erdgeschoss ins erste Geschoss laufen sehen." Später seien Menschen von Polizisten an Händen und Füßen auf die Straße getragen worden. Vier Stunden nach den tödlichen Schüssen betrat schließlich die Spurensicherung in der Nacht den Tatort.
Die Hintergründe der Schüsse im Stadtteil Alsterdorf waren nach Angaben der Ermittler zunächst unklar. Es gebe keinen Hinweis auf einen anderen oder einen flüchtigen Täter: "Im Moment ist die Lage soweit beruhigt", sagte ein Polizeisprecher am späten Abend.
Was man über den Täter weiß
Polizei, Staatsanwaltschaft und Innenbehörde zufolge handelte es sich bei dem Täter um einen 35-Jährigen Mann, im deutschen Allgäu in einem streng evangelischen Haushalt aufgewachsen. Dem deutschen Spiegel zufolge soll der Mann nach einer Banklehre Betriebswirtschaftslehre studiert haben. Später habe er "vielfältige international ausgerichtete Managementpositionen" innegehabt, bezeichnete sich als "bekennenden Europäer".
Auf einer Homepage soll der Mann Beratungsdienstleistungen in Bereichen von "Controlling" bis "Theologie" angeboten haben, für einen astronomischen Tagessatz von mindestens "250.000 Euro plus 19 Prozent Mehrwehrsteuer". Als Extremist war der mutmaßliche Schütze demnach nicht bekannt. Er soll in der Vergangenheit eine waffenrechtliche Erlaubnis beantragt haben. Zudem soll er ein ehemaliges Mitglied der Gemeinde der Zeugen Jehovas gewesen und vor eineinhalb Jahren aus der Kirchengemeinde ausgetreten sein.
In seiner Wohnung wurde auch eine größere Menge Munition gefunden. Der Leiter der Staatsanwaltschaft, Ralf Peter Anders, sprach von 15 geladenen Magazinen mit jeweils 15 Patronen und vier Schachteln Munition mit weiteren 200 Patronen. Außerdem wurden Laptops und Smartphones sichergestellt, die noch ausgewertet werden.
Die Zeugen Jehovas zeigten sich "tief betroffen". "Unser tiefes Mitgefühl gilt den Familien der Opfer sowie den traumatisierten Augenzeugen. Die Seelsorger der örtlichen Gemeinde tun ihr Bestes, ihnen in dieser schweren Stunde Beistand zu leisten", hieß es in einem Statement auf der Website der Gemeinschaft.
Die Polizei war binnen Minuten am Tatort: Um 21.04 seien die ersten Notrufe eingegangen. "Um 21.08 Uhr waren erste Kräfte vor Ort", sagte Grote. Nur eine Minute später, um 21.09 Uhr, sei die Unterstützungsstreife für erschwerte Einsatzlagen (USE) am Tatort gewesen.
Die Einsatzkräfte retteten nach den Worten des Innensenators sehr wahrscheinlich etliche Menschenleben. "Wir haben es mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit dem sehr, sehr schnellen und entschlossenen Eingreifen der Einsatzkräfte der Polizei zu verdanken, dass hier nicht noch mehr Opfer zu beklagen sind", sagte Grote.
Laut Polizei konnten etwa 20 Personen unverletzt aus dem Gebäude gerettet werden. Auch die Menschen, die verletzt gerettet worden seien, "rechnen wir dem Einschreiten der Polizei zu", sagte der Leiter der Schutzpolizei, Matthias Tresp.
Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zeigte sich bestürzt über die Schüsse während einer Veranstaltung der Zeugen Jehovas. "Die Meldungen aus Alsterdorf / Groß Borstel sind erschütternd", schrieb Tschentscher bei Twitter. "Den Angehörigen der Opfer gilt mein tiefes Mitgefühl. Die Einsatzkräfte arbeiten mit Hochdruck an der Verfolgung der Täter und der Aufklärung der Hintergründe." Tschentscher rief die Bürgerinnen und Bürger auf, die Hinweise der Polizei zu beachten.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete die tödlichen Schüsse als brutale Gewalttat. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson zeigte sich entsetzt Sie sprach Freitagfrüh auf Twitter von einer "schockierenden Tat".
Welche Art von Veranstaltung in der Kirchengemeinde der Zeugen Jehovas abgehalten wurde, war zunächst unklar. Auf der Internetseite der Zeugen Jehovas war für den Donnerstagabend eine von zwei wöchentlichen Zusammenkünften angekündigt. Dazu ist den Informationen zufolge auch die Öffentlichkeit eingeladen. Bei den Zusammenkünften befasst man sich demzufolge mit der Bibel und damit, wie ihre Lehre im Leben berücksichtigt werden kann. Polizeiangaben zufolge hatten mehrere Menschen die Veranstaltung besucht: "Es sind mehrere Personen in dem Gebäude gewesen während der Veranstaltung", so ein Sprecher.
Die Zeugen Jehovas sind eine christliche Gemeinschaft mit eigener Bibel-Auslegung. Die Anhänger glauben an Jehova als "allmächtigen Gott und Schöpfer" und sollen sich strengen Vorschriften unterwerfen. Sie sind davon überzeugt, dass eine neue Welt bevorsteht und sie als auserwählte Gemeinde gerettet werden. Weltweit haben die Zeugen Jehovas etwa acht Millionen Mitglieder. Die "Weltzentrale" ist in New York. Die deutsche Gemeinschaft mit weniger als 200.000 Mitgliedern gehört zu den größten in Europa.
Bei dem Tatort handelt es sich um ein dreistöckiges Gewerbegebäude, das an einer breiten Straße und neben einem Malerbetrieb sowie einer Baustelle mit drei großen Kränen liegt. In Hamburg-Alsterdorf leben rund 15.000 Menschen, der Stadtteil im Bezirk Hamburg-Nord ist etwa drei Quadratkilometer groß. Neben Alsterdorf gibt es zwölf weitere Stadtteile in dem Bezirk. In Hamburg-Alsterdorf sind zahlreiche Unternehmen angesiedelt. Durch den Stadtteil verläuft der Fluss Alster.
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