Vier Jahre zusätzlich für Kartnig
Zwei Stunden und 19 Minuten nach Prozessbeginn fällt schon das erste Urteil: Weitere vier Jahre und ein Monat Haft plus Fußfessel-Verbot für
Hannes Kartnig.
Das kommt überraschend. Richter Martin Wolf zieht am Grazer Straflandesgericht jenen Teil des zweiten Sturm-Prozesses vor, der nur Ex-Präsident Kartnig betrifft: Er soll 2006 versucht haben, vom Land Steiermark eine Haftung für einen Kredit über 1,2 Millionen Euro zu bekommen, obwohl Sturm pleite war.
Kartnig wirkt angespannt. Statt sich Schreiduelle mit dem Ankläger wie beim ersten Prozess 2012 zu liefern, redet er gar nicht mit ihm und gibt sich gegenüber dem Richter geläutert. „Ich bitte Sie höflich, mir zu glauben. Es tut mir wahnsinnig leid, was passiert ist. Ich war leider ein Fanatiker, ich wollte den Klub retten, in dem wir Spieler verkaufen. Ich wollte das Land nicht täuschen.“ Verteidiger Roland Kier wandelt den Titel von Kartnigs Biografie „Ein steirischer Traum“ ab: „Bei ihm ist alles weg, alles vernichtet, er ist fertig. Das ist ein steirischer Albtraum geworden.“
Doch Richter Wolf setzt die Strafe höher an: „Es geht um Glaubwürdigkeit des Fußballsports.“ Kartnig habe die Tragweite nicht begriffen. „Wenn er sagt, ich bin kein Verbrecher, ist das relativ. Sie sind bereits vom OGH wegen eines Verbrechens verurteilt, auch wenn Sie das bis heute nicht anerkennen.“ Die neue Strafe ist noch nicht rechtskräftig. Das Oberlandesgericht Graz wird darüber entscheiden.
2012 war das erste Urteil mit drei Jahren Haft noch niedriger ausgefallen; der Oberste Gerichtshof hob das Strafmaß für den Betrugsversuch am Land sowie Schädigung von Gläubigern aber auf. Rechtskräftig ist die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung: 15 Monate Haft plus 5,5 Millionen Euro Geldstrafe. Die Haft verbüßt der 63-Jährige im Gefängnis, nachdem ihm die Fußfessel wegen Opern- und Restaurantbesuchs abgenommen wurde.
Die Sache reizt auch den Staatsanwalt. „Er muss nicht in die Oper, er muss nicht ins Fünf-Sterne-Restaurant“, kommentiert Johannes Winklhofer. „Er kann sich das Essen kommen lassen, er kann sich die Opernsänger kommen lassen. Er hat das Geld.“ Damit spielt er auf Kartnigs Verdienst an: 14.732,24 Euro monatlich habe er als Geschäftsführer bezogen, gibt Kartnig zu Protokoll netto.
Weitere Strafe droht
Aber damit ist der Prozess noch nicht zu Ende. Kartnig droht sogar noch eine weitere Strafe: Bis Dezember geht es für ihn und einen Ex-Sturm-Sekretär noch um Betrug an der Bundesliga und am steirischen Fußballverband. Drei Ex-Sturm-Funktionäre sind weiters wegen Abgabenhinterziehung – es geht um Schwarzgeld an die Spieler – erneut vor Gericht.
Schwarzgeld und Betrug greifen ineinander. Um das abgezweigte Geld zu verschleiern, sollen Kartnig und ein Ex-Sekretär bei den Ticket-Abrechnungen weniger angegeben haben als tatsächlich verkauft wurde – das soll Bundesliga und Fußballverband um 72.000 Euro gebracht haben. Der Ex-Sekretär gesteht, Kartnig nicht.
Er habe nie Anweisungen diesbezüglich gegeben, wehrt Kartnig ab. Ob er denn dann die Abrechnungen nie kontrolliert habe, will der Richter wissen. „Sie sollen ein misstrauischer Mensch gewesen sein.“ Für einen Moment blitzt Kartnigs gewohnte Selbstsicherheit wieder auf. „Aber geh, kumm. Das Geld war einfach da. Wo es hergekommen ist, hat mich nicht interessiert.“
Der tiefe Fall des Hannes Kartnig:
Er ist ein Wahnsinniger, ein Grenzüberschreiter. Im Grunde ist er sein Leben lang ein trotziges Kind geblieben", sinniert Gerhard Hirschmann, viele Jahre ÖVP-Politiker in der Steiermark und als Sportlandesrat ein Wegbegleiter Hannes Kartnigs.
Das "trotzige Kind" hat, wie berichtet, aber eine Grenze zu viel überschritten. Nach Opernbesuch und feinem Essen mit Fußfessel am Knöchel in einem Wiener Luxushotel wurde dem 63-Jährigen der Hausarrest gestrichen: Als Kartnig Mittwoch in die Justizanstalt Graz-Jakomini bestellt wurde, behielt man ihn gleich dort.
Die Grenzen erkennen, damit dürfte sich Kartnig oft schwergetan haben. Hirschmann erinnert sich, Kartnigs Auto nicht nur ein Mal im Parkverbot gesehen zu haben. "Ich hab’ ihn dann schon gefragt, Hannes, wieso parkst du ständig, wo du willst? Und er sagte: Ich zahl’ eh die Strafe."
15 Monate Haftstrafe setzte es bekanntlich rechtskräftig wegen Steuervergehens. Ursache: Eine Grenzüberschreitung als Präsident des SK Sturm kaufte Kartnig teure Spieler ein, zahlte Kicker zuweilen schwarz, also an der Finanz vorbei. "Die Spieler haben’s verlangt, bitte", gestand Kartnig im Prozess 2012 in Graz.
"Das mit der Steuer, den Blödsinn, hab’ ich g’macht. Soll ich mich jetzt erschießen?" Deshalb sei er doch "kein Verbrecher", sondern nur "ein Steuersünder", beteuerte er in Interviews, nachdem der Oberste Gerichtshof die rechtskräftige Haftstrafe festgelegt hatte.
Gerhard Hirschmann über Kartnigs Lebenshaltung: "Er anerkennt gesellschaftliche Normen nur bedingt."
In seinen Glanzzeiten war ihm aber die Öffentlichkeit besonders wichtig. Also jene Zeit, wo der damalige Sturm-Präsident zwei Mal strahlend den Meisterteller des Klubs in die Kameras hielt oder Hunderte Gäste zu seinem Fünfziger in den Park des Schloss Eggenbergs lud.
Da warb er auch für eine Kreditkartenfirma, dort posierte er vor seinem Rolls- Royce. Frank Stronach war sein Trauzeuge, Politiker, wie Landeshauptmann Erwin Pröll, drängten in sein Rampenlicht. "Vom Bundeskanzler abwärts hat ihm ja jeder die Füße geküsst und sich gebalgt darum, mit ihm ein Foto machen zu dürfen", erinnert sich Hirschmann.
Kameras schwenkten auf ihn – von der Fernsehsilvestershow bis zum Musikantenstadl. Im Casino soll er zuweilen simultan an mehreren Tischen gespielt haben. So steht es in seiner 2001 erschienen Biografie "Ein steirischer Traum". Im Prozess 2012 tauchten Zahlen auf: Jetons um 6,9 Millionen Euro habe Kartnig erworben, aber nur 4,2 Millionen Euro rückeingelöst.
"Ein Depp"
Journalisten baten um Homestorys und Kartnig öffnete bereitwillig Tür und Tor zur Villa mit Haifischbecken. In einem KURIER-Interview gestand er ein, diesbezüglich "ein Depp" gewesen zu sein. "Natürlich hat es mir getaugt, dass mich damals alle erkannt haben. Aber das brauche ich heute nicht mehr." Oder doch? Exakt wegen der Aufritte in der Öffentlichkeit trotz Fußfessel verlor Kartnig das Privileg, seine Haftstrafe im Hausarrest verbüßen zu dürfen: Er ging zur "Tosca"-Premiere, rund eine Woche später wurde er im Wiener Nobelhotel Park Hyatt gesehen. Ausgänge, die zwar an sich genehmigt waren, aber der Justiz ob ihres Umfelds zu öffentlich waren.
Sein nächster öffentlicher Auftritt wird der Prozess wegen Betrugsverdachts, der am 12. November startet. Es geht um 1,2 Millionen Euro, um die Kartnig das Land Steiermark und die Bundesliga betrogen haben soll. Im ersten Verfahren war er zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Doch der OGH lässt den Prozess neu starten.
Nach der Ära Kartnig musste auch der SK Sturm an den Start zurück. Der Verein ging pleite. "Zar Hannes" trat als Präsident zurück. Dabei soll Sturm durch die Champions League 1998 und 1999 gut 20 Millionen Euro brutto verdient haben.
So viel Ruhm musste gefeiert werden: Den ersten Meistertitel bejubelten Kartnig, die Sturm-Kicker und 50.000 Fans auf dem Grazer Hauptplatz. Das Fest soll 290.000 Euro gekostet haben. "Ich wollte nie Neid erzeugen", beteuerte Kartnig mehr als ein Jahrzehnt später. "Ich hab’ mich nur gefreut, was ich alles erreicht habe."
Hannes Kartnig, geboren am 27. Oktober 1951, begann zunächst eine Lehre als Goldschmied, wechselte aber in die (Außen-)Werbung. 1971 gründete er seine erste Firma, etwas später folgte die "Kartnigs Perspektiven GmbH."
Sportfunktionär1989 wurde er Präsident des Eishockeyclubs EC Graz, der in Konkurs ging. 1992 bis 2006 war Kartnig Präsident des SK Sturm, der in seiner Zeit zwei Mal den Meistertitel holte und in der Champions League kickte. 2006 musste Sturm Konkurs anmelden.
"Ich hab’ gewusst, dass das ein Finanzvergehen ist. Aber ich hab’ gedacht, wenn wir erwischt werden, setzen wir uns mit der Finanz zusammen und einigen uns."
Hannes Kartnig beim Prozess, 2011
"Ich brauche die Schickimickis und die Seitenblicke-Gesellschaft nicht mehr. Das sind alles nur oberflächliche Menschen. Heute weiß ich, dass die Gesundheit wichtiger ist als alles andere auf der Welt."
Nachdem bei ihm Darmkrebs diagnostiziert wurde, 2012
"Was ist dabei, wenn ich ins Theater gehe? Ich geh’ ja in kein Puff!"
Nach der "Tosca"-Premiere, vor der Belehrung im Gefängnis, 20. Oktober 2014
"Ich wurde belehrt und daran werde ich mich halten. Gesetzlich war es in Ordnung, aber nicht für die Optik."
Nach seiner Ermahnung in der Justizanstalt, 20. Oktober 2014
"Ich war mit meiner Frau essen. Darf ich das nicht, muss ich verhungern?"
Nachdem er im Wiener Nobel-hotel Park-Hyatt gesehen wurde, 28. Oktober 2014
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