Falsche Diagnose: Todkranker war kerngesund

Schwindlig war ihm. Die Hände etwas taub. Seit einem Schlaganfall vor zwei Jahren ist Ionel-Marius H. wegen solcher Symptome besonders alarmiert. "Ich wollte wissen, woher dieses Schwindelgefühl kommt", erinnert er sich. Der Diplomingenieur machte daher einen Termin für eine Magnetresonanz-Untersuchung (MR) in einem steirischen Institut aus.
Am 24. August bekam er Post. " Leberkrebs, Lungenkrebs, Nierenkrebs", schildert der 60-Jährige und zeigt den Befund her. "Der ganze Körper . . . "
Die Erinnerung fällt H. schwer, immer wieder kommen ihm die Tränen. "Ich habe geschlafen, ich habe Nachtschicht gehabt. Meine Frau hat die Post aufgemacht und dann nur noch geweint."
Das Paar rief seinen Neffen an, einen Arzt. "Ich habe ihm das alles vorgelesen und gefragt, wie lange kann ich mit so einem Befund noch leben?", schildert H. "Er hat gesagt, vier bis sechs Monate. Höchstens. Bis Weihnachten und Silvester hast du noch vielleicht."
"Und heute halb tot?"
Immer wieder liest der Mann den Befund mit seinem Namen, seiner Adresse. Dann, nach ein paar Stunden, fällt ihm etwas auf: Ergebnis der Computertomografie steht da. "Aber ich habe ein MR machen lassen." H. fragte beim Institut nach: "Ich habe gesagt, entschuldigen Sie bitte, aber gestern habe ich ein MR machen lassen. Und heute bin ich halb tot?"
30 Minuten später kam der Rückruf: "Da war ein Fehler im System. Wir haben die falschen Befunde geschickt", bedauerte eine Mitarbeiterin und entschuldigte sich.
Ionel-Marius H. ist gesund. Er hat keinen Krebs im Endstadium. "Aber seither kann ich kaum schlafen und wenn, dann habe ich schlechte Träume." Der Blutdruck des Diabetikers schnell immer wieder auf 195 hinauf, wenn er an das falsche Schreiben denkt. Die Grazer Rechtsanwältin Karin Prutsch fordert 5000 Euro Schmerzengeld für ihren Mandanten. "Wegen des Schocks und der Angst."
So einen Akt hatte die Juristin noch nie: Ein gesunder Patient bekommt die Diagnose eines sterbenskranken per Post. "In dem Fall hat das auch einen eigenen Krankheitswert, weil mein Mandant seit dem Schlaganfall an einer Angststörung leidet." Der 60-Jährige war deshalb auch schon in Behandlung.
"Programmierfehler"
In dem CT/MR-Institut, das namentlich nicht genannt werden möchte, ist man zerknirscht. 30.000 Befunde erstelle man pro Jahr, betont dessen Leiter. Noch nie sei so ein Fehler passiert. Der Mediziner führt das auf einen "Programmierfehler" einer externen Firma zurück. "Befunde werden bei uns diktiert und vollautomatisch IT-gestützt verarbeitet. Dann sind offenbar zwei Befunde zeitgleich eingegeben worden", bedauert er. "Da geht es um eine zeitliche Ko-Existenz von Subsekunden."
Die genügte offensichtlich, um H.s Namen und Adresse auf einen falschen Befund zu setzen. "Es ist ein Fehler passiert, das ist unangenehm genug", versichert der Institutschef. "Aber es wäre auch für den Patienten von Anfang an erkennbar gewesen, dass das ein Irrtum sein muss: Er hat ein MR für den Schädel gemacht und ein CT für den Brustraum bekommen."
Man sei aber bereit, "mit dem Patienten ins Einvernehmen zu kommen", auch bezüglich des Schmerzengeldes. Kontrolliert wurde auch, ob der Patient mit dem tragischen CT-Ergebnis einen falschen Befund also H.s bekommen habe: Das sei nicht der Fall, so der Institutsleiter.
Der Maschinenbauer erinnert sich an seinen ersten Gedanken nach dem Lesen des desaströsen Befundes: "Ich wollt’ vor den Zug gehen." Seine Frau habe ihn abgehalten. "In meinem Kopf war alles total leer. In dem Moment war es so, als wäre das ganze Leben gestoppt worden."
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