Ski fahren: Unvorstellbar, aber es geht trotzdem

Zehn Grad Lufttemperatur – am Berg, wohlgemerkt. Kein Naturschnee weit und breit, der warme Wind weckt Erinnerungen an den Adria-Urlaub im Sommer. Doch laut Kalender steht der Jahreswechsel bevor; wie so oft fehlt in Österreich zu Weihnachten der Schnee in den Tallagen, diesmal allerdings auch auf den meisten Bergen. Unvorstellbar und dennoch Tatsache ist, dass dem Wintersportvergnügen in den großen Skigebieten aktuell nichts im Wege steht.
Weil man den Resorts ja nicht alles glauben muss, hat der KURIER die Probe aufs Exempel gemacht und sich zum Lokalaugenschein auf die Gerlitzen bei Villach begeben. Zugegeben: Die Optik macht wenig Lust aufs Skifahren, denn rundum dominieren die Farben Grün und Braun. Das weiße Band ist pure Kunst und wurde in den letzten Wochen von Schneekanonen auf den Berg gezaubert. Der Pullover unter der wärmenden Jacke entpuppt sich am Gerlitzen-Gipfel auf 1911 Meter Seehöhe bei 8 Grad bereits um 9 Uhr Früh als Fehlgriff und überflüssiges Accessoire. Die Sonne wärmt wie sonst höchstens zum Saisonfinale.
Aber schon bei den ersten Schwüngen, den Schattenhang die Klösterle-Abfahrt talwärts, wird klar: Es geht! Es geht allen Widrigkeiten zum Trotz! Die Piste ist teilweise griffig, teilweise pickelhart, teilweise glänzt blankes Eis; Der Untergrund ist perfekt präpariert, als würde es sich um einen Winter wie vor 20 Jahren handeln.
Sonnenskilauf
"Herrlich, das ist wie Ski laufen zu Ostern. Auf dem Gerlitzen-Gipfel ist es derzeit um zehn Grad wärmer als im Tal, wo man die Villacher und Klagenfurter Nebelsuppe sieht. Die Pisten sind in einem hervorragenden Zustand", sagt Helmut Jantscher aus Wels, der eine Woche Urlaub gebucht hat.
Stunden später, auf den Sonnenhängen hinunter zur Mittelstation auf der Kanzelhöhe, merkt man wohl, dass sich die Sonneneinstrahlung auf die Schneebeschaffenheit auswirkt. Der künstliche Untergrund ist musiger, mehliger – aber trotzdem ermöglicht er ein gefahrloses Skifahren. "Wir sind Sonnenskiläuferinnen. Speziell vormittags sind die Pisten griffig, einfach perfekt für diese äußeren Umstände", erklären Tanja und Nadja Samwald aus Grafenstein.
Der Villacher Ernst Jochum wundert sich, dass hier in den letzten Tagen die Schneekanonen in Betrieb gehen konnten. Hans Hopfgartner, Geschäftsführer der Gerlitzen Bergbahnen, erklärt: "In den letzten Nächten betrug die Temperatur am Berg nur 4 Grad. Weil aber die Luftfeuchtigkeit sehr niedrig ist – oft nur bei 15 Prozent – , können wir problemlos die Schneekanonen anwerfen."
Somit sind auf der Gerlitzen über die Feiertage alle Hauptpisten geöffnet, stehen rund 20 Kilometer zum Skilaufen zur Verfügung. An guten Tagen rechnet man währen der Weihnachtsferien mit bis zu 8000 Touristen.
Fehlende Sturzräume
Was ihnen auf den Abfahrten freilich zwangsläufig ins Auge sticht, sind die fehlenden Sturzräume. Das Schneeband ist schmal, links und rechts davon sieht man Wiesen und felsiges Gelände. Fangnetze oder andere Sicherheitsvorkehrungen existieren nicht. "Das erscheint mir doch ziemlich gefährlich. Wenn dich die Piste abwirft, landest du im besten Fall auf der Erde und im worst case auf einem Stein", sagt Sonja Finding aus Graz.
"Ja, es ist gefährlich, der Schnee als Aufprallschutz fehlt einfach", bestätigt Herbert Essmann, Chef der Pistenambulanz auf der Gerlitzen. "Die Skifahrer sind in diesem Fall verpflichtet, sich an die Verhältnisse anzupassen. Das ist eine Frage der Eigenverantwortung wie im Straßenverkehr", betont er. Das würden die Sportler umsetzen, die Zahl der Unfälle bleibe im Vergleich zu schneereichen Jahren gleich. Geschäftsführer Hopfgartner verweist auf die rechtlichen Bestimmungen, wonach den Skigebietsbetreibern eine besondere Sicherung in solchen Fällen gar nicht zumutbar wäre. "Jeder muss sich derzeit im Klaren darüber sein, dass durch den fehlenden Naturschnee auf Österreichs Pisten ein erhöhtes Gefahrenpotenzial besteht."
Das traumhafte Wetter lockte zahlreiche Skifahrer auf die Pisten. Für einige endete das Vergnügen nach Stürzen oder Zusammenstößen mit schweren Verletzungen im Krankenhaus.
In Obertauern (Salzburg) kam es am Heiligen Abend und am Christtag gleich zu vier schweren Unfällen. Donnerstagvormittag rammte eine Unbekannte eine 25-jährige Deutsche. Die Frau riss sich das Kreuzband im rechten Knie. Am Nachmittag stießen eine 17-jährige deutsche Urlauberin und eine 59-Jährige aus Wien zusammen. Letztere verletzte sich am Oberarm schwer. Freitagvormittag renkte sich ein 44-jähriger Deutscher bei einer Kollision mit einer 13-Jährigen die Schulter aus.
Ebenfalls am Christtag brach sich ein 47-Jähriger aus Deutschland bei einem Zusammenstoß mit einem fahrerflüchtigen Skifahrer Elle und Speiche des rechten Unterarms.
Auf den Pisten in Tirol krachte es am Heiligen Abend mehrmals. Ein 52-jähriger Deutscher wurde in Tux-Vorderlanersbach von einem Unbekannten angefahren und mit schweren Kopfverletzungen liegen gelassen. In Ellmau verletzte sich eine 15-jährige Holländerin schwer am Kopf, nachdem sie gegen einen Zaunpfahl geprallt war. Für einen Landsmann (49) endete der Skiurlaub im Krankenhaus Kufstein. Der Mann war in Söll von der Piste abgekommen und über aperes Gelände gestürzt. Er erlitt schwere Rückenverletzungen.
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