Missbrauchsvorwürfe: Ex-ÖSV-Trainer Kahr verlor in erster Instanz

Missbrauchsvorwürfe: Ex-ÖSV-Trainer Kahr verlor in erster Instanz
Hatte Prozess wegen übler Nachrede angestrengt - Freisprüche für beide Angeklagten - Urteil ist nicht rechtskräftig.

Ex-ÖSV-Trainer Karl "Charly" Kahr hat den von ihm angestrengten Prozess wegen übler Nachrede in erster Instanz verloren. Die zwei Angeklagten, eine ehemalige Skirennläuferin und ihr Ehemann, sind am frühen Donnerstagabend am Bezirksgericht Bludenz freigesprochen worden. Kahrs Anwalt Manfred Ainedter meldete umgehend "volle Berufung" an, das Urteil ist damit nicht rechtskräftig.

Im Prozess ging es um zwei WhatsApp-Nachrichten der Eheleute, die sie vor gut einem Jahr an Skilegende Annemarie Moser-Pröll verschickt haben. "CK ("Charly"Kahr, Anm.) hat zusammen mit TS (Toni Sailer, Anm.) viele Mädchen missbraucht und gebrochen" schrieb der erstangeklagte Ehemann, "Dein Entjungferer Charly. Du warst noch keine 16 Jahre alt" die ehemalige Skirennläuferin.

Die beiden Eheleute hatten die WhatsApp-Nachrichten als Reaktion auf öffentliche Aussagen von Skilegende Annemarie Moser-Pröll verfasst, die sie als falsch und scheinheilig beurteilten. Moser-Pröll war nach dem Outing der ehemaligen Skirennläuferin Nicola Werdenigg befragt worden war, die in einem Medium erklärt hatte, während ihrer Skikarriere von einem Mannschaftskollegen vergewaltigt worden zu sein.

Moser-Pröll leitete die WhatsApp-Nachrichten an Kahr weiter, wodurch dieser erst Kenntnis von den Vorwürfen erlangte und Anklage wegen übler Nachrede einreichte. Kahr blieb der Verhandlung am Donnerstag fern, nachdem er am ersten Verhandlungstag im April vergangenen Jahres ausgesagt hatte. "Ich habe nicht auf so einem Niveau gelebt", wies er damals die gegen ihn vorgebrachten Vorwürfe vehement zurück.

"Karl Kahr hat die Publizität selbst geschaffen, die er nun offenbar nicht mehr will"

Zu klären galt es am Donnerstag die Frage, ob der Ehemann der Ex-Skirennläuferin seine WhatsApp-Nachricht im guten Glauben getätigt hat, dass der Inhalt stimmte. Er betonte insbesondere - entgegen der Ansicht von Kahrs Rechtsvertreter Manfred Ainedter -, dass die von ihm und seiner Frau gemachten Äußerungen niemals für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen seien. "Karl Kahr hat die Publizität selbst geschaffen, die er nun offenbar nicht mehr will", sagte der Verteidiger des Ehepaars, Martin Mennel.

Die als Zeugin geladene Werdenigg zeichnete bezüglich der Zustände im Skiteam der 1970er-Jahre abermals ein verheerendes Sittenbild. Die Olympia-Abfahrtsvierte von 1976 berichtete von einer "exzessiven sexuellen Stimmung". Kahr habe nicht die Eignung besessen, Trainer eines Damen-Skiteams zu sein und sei deshalb abgelöst worden. "Er hat seine Macht eingesetzt und missbraucht", sagte Werdenigg.

Entjungferung "als Recht"

Der Missbrauch habe nicht nur, aber auch sexuell stattgefunden. Auch bei den Männern sei ein System erzeugt worden, das 1977 sogar einen Athleten in den Suizid getrieben habe, so Werdenigg. Manche Skiläuferinnen hätten ihre Karrieren beendet, als Kahr ein Naheverhältnis zu Annemarie Moser-Pröll aufgebaut und sie bevorzugt habe. Dass zwischen den beiden ein sexuelles Verhältnis bestanden habe, stand für Werdenigg aufgrund ihrer eigenen Wahrnehmung fest, die sich im Wesentlichen auf Erzählungen stützte. Moser-Pröll hatte das im April bereits energisch bestritten. Ebenso beschrieb Werdenigg Alkohol-Exzesse von Kahr und Sailer.

Im Männer-Skiteam ist es laut Werdenigg so weit gegangen, dass ein Masseur junge Frauen unter Vorwänden in Hotels gelockt habe, wo pornografische Fotos und Filme produziert worden seien. Das entstandene Material sei dann im Skiteam verteilt worden. Ein Mal hätten Aufnahmen auch in Kahrs Haus stattgefunden. In Sachen sexuellem Missbrauch durch Kahr wusste sie nach eigenen Angaben "aus direkter Quelle von drei Fällen, gerüchteweise von mehr". Sie unterstrich die Aussage des Ex-Journalisten, wonach Kahr die Entjungferung junger Rennläuferinnen "als sein Recht" betrachtet habe.

Ein ehemaliger Journalist, der den "Fall Toni Sailer" - Vergewaltigungsvorwürfe aus dem Jahr 1974 - recherchiert hatte, sprach von Gerüchten, wonach im österreichischen Ski-Damenteam sexuelle Gefälligkeiten - sowohl freiwillig als auch unfreiwillig - erwartet worden seien, etwa für Startplätze. Er berief sich auf mehrere Informanten, deren Namen er aber nicht nannte. Der Alkoholismus von Sailer und Kahr sei ein offenes Geheimnis gewesen, sagte der ehemalige Journalist. Kahr habe betrunken sogar damit geprahlt, junge ÖSV-Skiläuferinnen zu entjungfern. Für ihn habe sich ein klares Bild ergeben, so der Zeuge. Beweise bzw. Personen, die vor Gericht ausgesagt hätten, habe er damals aber nicht gehabt.

Urteil "bemerkenswert"

Das angeklagte Ehepaar, der Ex-Journalist sowie zwei Standard-Journalisten hatten sich im Dezember 2017 in der Wohnung von Werdenigg getroffen und über die Vorfälle aus den 1970er-Jahren diskutiert. Richterin Daniela Flatz war aufgrund der Zeugenaussagen überzeugt, dass der Erstangeklagte damit den Eindruck erhalten habe, die geschilderten Vorkommnisse entsprächen der Wahrheit.

Seine WhatsApp-Nachricht habe er deshalb im guten Glauben geschrieben habe, weshalb er freizusprechen sei, so Flatz in der Urteilsbegründung. Im Fall seiner Gattin sah sie das Delikt der üblen Nachrede nicht erfüllt. "Es besteht keine konkrete Gefahr, dass das Ansehen des Herrn Kahr bei Frau Moser-Pröll durch die WhatsApp-Nachricht beeinträchtigt wird", stellte sie fest. Deshalb erging auch für die ehemalige Skirennläuferin ein Freispruch.

Sehr unzufrieden mit den Urteilen zeigte sich Ainedter, der es für "bemerkenswert" hielt, dass man "in Österreich ungestraft solche Aussagen treffen darf, wenn man guten Glaubens sein kann. Ich glaube nicht, dass das geht", sagte der Rechtsanwalt. Ebenfalls sehr unzufrieden war Moser-Pröll, die im Glauben, noch einmal in den Zeugenstand gerufen zu werden, nach Vorarlberg gereist war. Der entsprechende Antrag von Ainedter wurde jedoch abgewiesen. Sie sprach von "Frechheit pur" und beschwerte sich darüber, dass "wir angepatzt werden. Die darf alles", meinte sie im Hinblick auf die Zweitangeklagte. Als sie aufgefordert wurde, sich ruhig zu verhalten, verließ sie mit dem Satz "Das ist Kasperltheater pur" den Gerichtssaal.

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