"Leute zucken schneller aus"

Eine Frau in weißer Arbeitskleidung demonstriert einem Mann in Gelb eine Abwehrtechnik vor Publikum.
In Graz gibt es ein Sicherheitstraining für Pflegekräfte gegen Übergriffe.

Selbstsicheres Auftreten ist der allerbeste Schutz vor Übergriffen", mahnt Gernot Riedl. "Draußen und auch hier drinnen." Drinnen, das ist ein Seminarraum im LKH Uni-Klinikum Graz. Krankenschwestern und Pflegehelferinnen simulieren eine Attacke, während sich eine Kollegin bemüht, sie wegzuschubsen: Das ist einer jener Übungen, die ihnen im Ernstfall Schutz vor zudringlichen oder aggressiven Patienten und Besuchern bieten soll.

Seit zwei Jahren wird das Training angeboten, das neben Ratschlägen zur Kommunikation auch praktische Tipps vorsieht. Riedl, Jurist, Mediator und Karatetrainer, nennt sie "patientenschonenden Selbstschutz", nicht Selbstverteidigung. "Es ist eine abgeschwächte Form. Im Spital muss ich anders reagieren als bei einem Übergriff draußen, weil der Patient auch morgen noch mein Patient ist." Mit klassischen Abwehrbewegungen wie dem Tritt in den Unterleib oder dem Fingerbohren in ein Auge käme man hier nicht weiter.

Aggressivität gegenüber und Übergriffe auf Pflegepersonal seien leider keine Seltenheit mehr, bedauert Pflegedirektorin Christa Tax. "Die Zwischenfälle mit aggressiven Patienten oder Angehörigen nehmen zu. Früher hat man vieles ausreden können, heute zucken die Leute schneller aus." 2012 wurden 25 Vorfälle gemeldet, bei denen vier Mitarbeiter verletzt wurden, 2013 waren es 31 Meldungen und sieben Verletzte.

Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher sein. Studien aus Finnland oder auch der Fachhochschule Kärnten gehen davon aus, dass bis zu 75 Prozent des Pflegepersonals im Spitalsbereich schon einmal Aggression oder Gewalt am Arbeitsplatz erleben mussten.

Stopp schreien

Um Schwestern und Pflegern Rüstzeug dagegen mitzugeben, wurde 2012 im LKH mit den Sicherheitstraining begonnen. Auf freiwilliger Basis werden Kommunikationseinheiten angeboten, aber auch praktische Übungen abgehalten, verteilt auf drei Tage mit zusätzlichen Einheiten zum Auffrischen. Trainer Riedl wiederholt: "Auf Armlänge halten, Stopp schreien, schauen, dass man wegkommt. Wenn möglich, kein Gegenangriff."

Falls der doch nötig sein sollte, hält er die Methoden simpel: Festgehaltene Handgelenke mit einer Drehung befreien, Arme als Schutz vor den Kopf halten, mit dem Knie nach oben fahren. "Das sind keine komplizierte Techniken. Einfach ins Zentrum des Körpers drehen und rotieren", weist er seine Schülerinnen an.

Schwester Manuela hat den Dreh schon raus und hält Riedl mit Armlänge auf Distanz. "Wir haben oft Alkoholisierte in der Ambulanz, da muss manchmal die Polizei kommen", schildert sie. "Eine Kollegin ist schon verletzt worden." Pflegehelferin Gabi betont, noch nie körperlich attackiert worden zu sein. "Verbale Angriffe kommen immer wieder vor. Blöde Kuh hör’ ich öfter in der Ambulanz."

Philipp Kopp vom Sicherheitstechnischen Dienst der Krankenanstaltengesellschaft (KAGES) hat das Projekt initiiert.

KURIER: Wie ist es dazu gekommen?

Kopp: Es ist ja grundsätzlich kein Geheimnis, dass die Anzahl der Übergriffe auf Mitarbeiter steigt, vor allem im Ambulanzbereich. Das liegt an Wartezeiten, die Patientenschaft ändert sich, man reagiert aggressiver. Vor zehn Jahren ist an der Landesklinik Sigmund Freud ein ähnliches Projekt gestartet worden, das haben wir für uns adaptiert.

Ist es eher verbale Aggression oder körperliche Gewalt, mit der Pflegepersonal zu kämpfen hat?

Verbale Dinge werde uns oft gar nicht gemeldet. Es ist schon so, dass es oft um körperliche Übergriffe geht.

Wer ist Ihr Zielpublikum?

Das Pflegepersonal. Diese Mitarbeiter stehen an der vordersten Front. Es ist auch geplant, Ärzte aufzunehmen. Wir haben mit Ambulanzen begonnen. Dort gab es die meisten Übergriffe und den größten Bedarf, Maßnahmen zu setzen.

Kommentare