In Telefonzellen hört man Stimmen aus dem Gemeindebau

Wer die kleine Kabine betritt, geht quasi auf Zeitreise. Menschen, die vor dem Handyzeitalter geboren sind, erinnern sich noch an die kleinen Häuschen, wie sie früher an vielen Orten zu finden waren – die Telefonzellen. Doch hier, in der Per-Albin-Hansson-Siedlung im 10. Bezirk und im Kopenhagen-Hof in Döbling, hat die Zelle eine neue Aufgabe bekommen. Wer den Hörer abnimmt, wählt nicht mehr eine Telefonnummer – sondern taucht in Geschichten ein.
Für drei Monate verwandelt sich das Häuschen in ein akustisches Archiv gelebter Nachbarschaft. Unter dem Titel „Stille Post“ hat die Künstlerin Laura Andreß mit Bewohnerinnen und Bewohnern gesprochen und deren Erinnerungen, Erfahrungen und Beobachtungen aufgenommen. Auf Knopfdruck erzählen die Stimmen von Nähe und Distanz, von Einsamkeit und Gemeinschaft, von Zusammenhalt und vom Loslassen. Offizielle Eröffnung des Projekts war am gestrigen Freitag.
Wieder verbunden
„Mit Stille Post wird die Telefonzelle reaktiviert – als Resonanzraum für Stimmen, Erfahrungen und Erinnerungen. Es zeigt, wie vielfältig das Miteinander im Gemeindebau ist“, erläutert Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) das Projekt. „Was einst Werkzeug der täglichen Kommunikation war, wird hier wieder zum Medium der Verbindung.“
Das Besondere: Die beiden Telefonzellen sind nicht nur mit Geschichten gefüllt, sondern auch miteinander verbunden. Wer in Favoriten den Hörer hebt, kann plötzlich in Döbling landen – und umgekehrt. Ein spontanes Gespräch zwischen zwei völlig verschiedenen Ecken der Stadt, vermittelt durch ein Stück analoger Technik.
Nähe und Distanz
„Die Gespräche, die Laura Andreß geführt hat, kreisen subtil um Nähe und Distanz“, erklärt Arno Rabl vom Kulturlabor Gemeindebau. „Die Zellen stehen einerseits für Trennung, andererseits für die Möglichkeit, miteinander in Kontakt zu kommen.“
Für Cornelia Offergeld. künstlerische Leiterin von „Kunst im öffentlichen Raum“, spiegelt das Projekt den Kern dieser Kunstform wider: „Diese setzt sich mit essenziellen Bedürfnissen der Gesellschaft auseinander. Man könnte sagen, das ist ihre DNA. Jeden Tag beginnt diese Kunst aufs Neue einen Dialog mit den Menschen um sie herum. Hier sind es die Bewohnerinnen und Bewohner selbst, die das Kunstwerk bilden.“
Gemeinsamer Stammtisch
Doch Stille Post bleibt nicht bei den Telefonzellen stehen. Einmal im Monat sind die Menschen, die in den beiden Höfen leben, zu einem Stammtisch eingeladen. Bei Kaffee, Getränken und gemeinsamem Essen entsteht ein Raum, in dem das Zuhören nahtlos ins Miteinanderreden übergeht.
So wird aus einer „stillen Post“ eine laute Einladung: Geschichten zu hören, Erinnerungen zu teilen und vielleicht auch neue Bekanntschaften zu schließen. Die Stammtische finden am 19. September, am 10. Oktober und am 7. November statt – jeweils direkt am Telefonhäuschen. In der Per-Albin-Hansson-Siedlung in Favoriten ist das an der Ecke Bergtaidingweg/Adolf-Unger-Gasse, Stiege 49, in Döbling im Kopenhagen-Hof in der Billrothstraße 12/1, Stiege 9.
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