Facebook-Nachrichten aus dem Jahr 1938

Facebook-Nachrichten aus dem Jahr 1938
Forschungsgesellschaft versucht, die Vertreibung der Juden auf sozialem Netzwerk zu rekonstruieren

Es sind 38 Nachrichten, ganz persönliche, die da auf Facebook zu lesen sind. Texte, Videos und Bilder untermauern das Erlebte auf eine ganz besondere Weise. Keiner war wohl gefasst, dass der Umbruch so rasch und mit einer solchen Brutalität vonstattengehen würde. Es ist ein einzigartiges Projekt, das die Mitarbeiter der Burgenländischen Forschungsgesellschaft (BFG) ausgewählt haben, um die Vertreibung der burgenländischen Juden zu rekonstruieren. Vom 11. März bis zum September werden via Facebook die Ereignisse in jüdischen Gemeinden auf den Tag genau in Erinnerung gerufen, an dem sie 1938 stattgefunden haben.

„Wir haben uns entschieden, das Jahr 1938 in einem historischen Liveticker darzustellen“, erklärt Alfred Lang, Geschäftsführer der BFG. Das heurige Gedenkjahr haben er und zwei weitere Mitarbeiter des BFG – Michael Schreiber und Gert Tschögl – als Anlass genommen, um ihre Recherchen aus den diversen Quellen gebündelt zu veröffentlichen. Sorge wegen des Daten-Skandals rund um Facebook hat man in der BFG nicht. „Wir veröffentlichen ja nur Sachen, die wir sonst auch über Bücher publiziert hätten“, sagt Lang.

Eine der ersten der Nachrichten stammt von Hanny Hieger. In einer Videoaufzeichnung schildert sie, wie ihr Vater Rudolf Spiegl, Sodawasserproduzent in Zurndorf, am Abend des 11. März 1938 verhaftet wird. „ Er wurde sofort in Schutzhaft genommen – von Leuten, die bei uns verkehrt haben und die sich als unsere Freunde ausgegeben haben.“

Eine weitere Nachricht kommt von Jonny Moser aus Parndorf: „ Die Ortsbevölkerung befolgte den Boykott der jüdischen Geschäfte. Wir Juden waren plötzlich ausgegrenzt, zu Parias geworden.“

Von Patienten verhaftet

Richard Berczeller, Arzt in Mattersburg, hört am 11. März die Abschiedsrede von Österreichs Bundeskanzler Kurt Schuschniggs im Radio. Er nimmt seinen Reisepass und rennt zur Bahnstation. „ Dort warten bereits zwei Gendarmen mit Hakenkreuz-Binden am Arm. Beide waren Patienten von mir. Der eine von ihnen sagt: ,Es tut mir leid, Herr Doktor, aber ich hab den Befehl, Sie zu verhaften‘. “

Quer durch das Land haben sich solche und ähnliche Ereignisse zugetragen, ist aus den „38 Nachrichten aus dem Jahr 1938“ zu erfahren.

„Die Betroffenheit ist sicher größer, wenn sich die Ereignisse vor der eigenen Haustür abspielen“, ist Lang überzeugt.

3632 Juden hatte es laut Volkszählung von 1934 im Burgenland gegeben. Zwei Tage nach dem Anschluss hatten die lokalen Nazis bereits 250 Juden verhaftet, weiß Lang. Im November meldete Gauleiter Tobias Portschy das Burgenland als ersten Gau judenfrei.

Abgeschlossen sind für Lang die Recherchen keineswegs. „Viele der Ereignisse von 1938 sind auch heute noch nicht zu belegen.“

www.facebook.com/burgenland1938

Kommentare