Afritz in Angst, Ortsteil als Geisterstadt

"Ich bin mutlos, ängstlich, leide an Schlaflosigkeit. Die Katastrophe hat mich verändert, ich bin nicht mehr wie früher." Werner Adolf Kowatsch aus Afritz (Bezirk Villach Land) lebt seit den beiden Murenabgängen, die den Ortsteil Kraa in den vergangenen Wochen erschütterten, in ständiger Angst. Der ehemalige Afritzer Gemeinderat blickt von seinem Wohnhaus auf den Berg, von dem das Naturereignis ausging, und meint: "Wir alle hier wissen, dass dort genug Material liegt, um die Gemeinde noch einmal zu verschütten." Auf seinem Grund und Boden ist er nur tagsüber anzutreffen, die Nächte verbringt er mit Frau Hermine in einem Appartement am See. "Das ist die sichere Seite von Afritz, Kraa wurde zur Geisterstadt."
Der Ortsteil wurde am Freitagabend zum zweiten Mal binnen 14 Tagen evakuiert. 130 Personen ließen auf Empfehlung von Bürgermeister Max Linder ihre Häuser zurück, wohnen zumindest noch während des Wochenendes bei Verwandten oder Bekannten. "Ein Vorsichtsmaßnahme, weil täglich Starkregen angesagt ist. In der Nacht auf Samstag trat der Bärenbach nicht über die Ufer. Ein Hoffnungsschimmer, aber man weiß nicht, was kommt", blickt Linder in den grauen Wolkenhimmel.
Sorge um die Familie

Günther Winkler wohnt ebenfalls im Katastrophen-Zentrum. "So lange die Gefahr nicht gebannt ist, bleiben die Kinder in Arriach bei den Großeltern", betont er.
Schutz erst im Juni
"Aber wie lange müssen wir jetzt mit dieser Angst leben?", fragt Sieglinde Krickl. Ein heikles Thema, denn es bleibt unklar – etwa wie viel loses Material im Kraabach- und Bärenbachgraben liegt, ob Rutschungsprozesse zu befürchten sind, ob die provisorischen Schutzwälle halten. "Weitere Murenabgänge sind erst auszuschließen, wenn es friert oder wenn die endgültige Schutzverbauung fertiggestellt ist. Das könnte nächsten Juni der Fall sein", schätzt Wildbach-Experte Christof Seymann. Zuerst gilt es, mit dem Landwirtschaftsministerium die Frage der Finanzierung zu klären.
In der Zwischenzeit harren die Bürger der Dinge. "Die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik hat ein Auge auf Afritz und informiert uns vor jedem drohenden Unwetter", erklärt Linder. Weil er sich mit aktuellen Ängsten zu befassen hat, gibt es keinerlei Schätzungen, die das Schadensausmaß betreffen – obwohl die Afritzer natürlich auch diesbezügliche Sorgen quälen.
"Letztendlich wird es sich um limitierte Summen handeln, die die Versicherungen bei Murenabgängen fließen lassen und keine reelle Entschädigung – obwohl es viele harte Einzelschicksale gibt", befürchtet Kowatsch.
Im Fall von Brigitte Simon wurde seitens der Gemeinde zugesagt, dass ihre Heizungsanlage, die bei der Katastrophe zerstört wurde, aus Spendengeldern ersetzt wird. "Weil der Zusammenhalt in der Gemeinde so groß ist, fühlt man sich sogar in diesem Chaos geborgen", betont sie.
Ihr Haus ist seit 30. April unbewohnbar, weil damals aufgrund eines Kabelbrandes der erste Stock zerstört wurde. Dann hat die Mure das Parterre und den Keller heimgesucht. "Jetzt kann ich erneut mit der Versicherung ringen", mutmaßt sie.
Ideelle Werte
"Und ideelle Werte sind sowieso nicht zu ersetzen", seufzt Wilfried Steger. Er ist seit 50 Jahren Hobbyfotograf, hatte im Keller in luftdichten Containern seltene Kameras und Tausende Negative aufbewahrt. "Da waren Bilder aus dem Vietnamkrieg dabei; damals habe ich mich als Kriegsberichterstatter versucht. Jetzt wurden sämtliche Behälter von den Geröllmassen zerquetscht, die Negative zerrinnen zwischen den Fingern. Ich wollte es irgendwann versichern lassen, aber ...," bricht er den Satz ab, um zu ergänzen: "Letztlich müssen wir dankbar sein, dass alle die Katastrophe wohlbehalten überstanden haben – und hoffen, dass keine weitere folgt."
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