Zeitenwende: Wo sind die Konzepte?

Josef Ertl
Es ist ein Dilemma. Es wäre notwendig, möglichst sofort auf russisches Gas zu verzichten, um die Geheimdienst-Diktatur Putins zum Einsturz zu bringen und so die Ukraine zu unterstützen. Wir können aber nicht zu diesem Schwert greifen, weil wir uns selbst schwer verletzen würden: Unsere Industrie käme zum Stillstand. Die Russland-Abhängigkeit, die uns die Putin-Versteher eingebrockt haben, fällt uns auf den Kopf. Während sich die hiesigen Putin-Versteher in Schweigen ergehen, gesteht der ehemalige deutsche Wirtschafts- und Außenminister Sigmar Gabriel die Versäumnisse. „Wir haben Fehler gemacht.“ Als Beispiel nennt er die Gasleitung North Stream II, an der auch die OMV beteiligt war. Als eine Ursache nennt er die Liberalisierung des Gas-Marktes 2002, die North Stream II erst ermöglicht habe.
Verheerende Kriegsfolgen
Die Kriegsfolgen sind verheerend und noch nicht völlig absehbar. Die Wirtschaft, die sich gerade von der Corona-Krise erholt hat, wird vermutlich in eine Stagflation bzw. Rezession stürzen. Arbeitsplätze und Unternehmen werden neuerlich in ihrer Existenz gefährdet. Es gibt aber auch die positiven Seiten. Die Solidarität der Bevölkerung, von Firmen und Institutionen mit den ukrainischen Flüchtlingen ist vorbildlich. Das ist eine der großen Stärken unseres Landes.
Wo bleiben die Konzepte und Diskussionen?
In der Politik, bei den Parteien sind die Konsequenzen dieser Zeitenwende noch nicht angekommen. Außer der Ankündigung des Kanzlers, die Ausgaben für das Heer auf ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts anheben zu wollen, ist völlig unklar, wie sich Österreich künftig verteidigen will. Wo sind die Konzepte, wo sind die Diskussionen darüber, wo ist der Wille zur Landesverteidigung? Der Wunsch, im gewaltlosen Paradies leben zu wollen, ist eine Sache. Die Realität, sich verteidigen zu können, ist eine andere. Wir sind nicht einmal in der Lage, unsere Grenze zu schützen.
Sieg der Ukraine und Putins Sturz
Der Kalte Krieg ist nach der Öffnung Osteuropas 1989 zurück, die Globalisierung wird zurechtgestutzt. Europas Hoffnung kann nur sein, dass die Ukraine den russischen Angriff zurückschlägt und das System Putin zusammenbricht. Verlorene Kriege Russlands hatten stets gravierende Folgen. Der Erste Weltkrieg endete 1917 in der bolschewistischen Revolution, der Rückzug aus Afghanistan trug zum Kollaps der UdSSR bei. Gelingt es der Ukraine, Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie zu verteidigen, würden alle profitieren: die russische Bevölkerung und Europa.
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