"Wie schlimm wird es noch werden?"

Charlotte Herman ist Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde in Linz
Weltweit nimmt der Antisemitismus zu, Charlotte Herman von der israelitischen Kultusgemeinde erklärt diese Entwicklung

In Uniform patrouilliert die Polizistin auf dem Gehsteig, nimmt Passantinnen und Passanten ins Visier, das Dienstauto steht in Sichtweite. Es ist offensichtlich, dass hier das Gebäude hinter dem hohen Zaun bewacht wird.

Rund um die Uhr

„Ja, es ist eine neue Situation für uns“, sagt Charlotte Herman. Die pensionierte Zahnärztin ist die amtierende Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde in Linz, die rund 50 Mitglieder zählt. Seit den Vandalenakten und schließlich dem tätlichen Angriff auf Elie Rosen, den Leiter der jüdischen Gemeinde in Graz, gibt es auch vor der Linzer Synagoge in der Bethlehemstraße rund um die Uhr Polizeipräsenz – teils in Uniform, teils in Zivil: „Damit haben wir nichts zu tun, das hat der Bund angeordnet, sofort nach den Ereignissen in Graz. Prinzipiell ist das eine zweischneidige Sache. Natürlich wäre es mir lieber ohne Polizeischutz. Aber wer übernimmt die Verantwortung, wenn tatsächlich etwas passiert?“ Sie erinnere sich nicht, dass es eine durchgehende Bewachung der Synagoge in Linz schon einmal gegeben hätte: „Das ist natürlich bedenklich.“

Vandalenakte

Diese Woche starteten nach einer Pause die Gottesdienste wieder. „Wenn Mitglieder nicht dabei sind, dann aber eher, weil sie Angst vor einer Corona-Infektion haben.“ Bis dato hat Charlotte Herman die Lage in Oberösterreich als wenig bedrohlich empfunden: „Es gab bis jetzt keine Vandalenakte gegen unser Gotteshaus. Der jüdische Friedhof ist allerdings zugesperrt und dort gab es bereits einen Vorfall: Am Tag vor den Gedenkfeiern zu 80 Jahren Reichspogromnacht schmierte jemand die Worte „Zyklon B“ auf die Eingangsmauer.“

"Müssen wir jetzt Koffer packen?"

Antisemitismus war immer da und werde immer da sein, die Frage sei nur: In welchem Ausmaß? „Als 2019 das Attentat auf die Synagoge in Halle stattfand, war meine erste Reaktion: Müssen wir jetzt die Koffer packen? Wie schlimm wird es noch in Europa für uns?“, erinnert sich Herman. Prinzipiell gibt es drei Arten von Antisemitismus: den rechtsradikalen, den linksradikalen und den importierten, also „jenen Antisemitismus, der aufgrund der Einwanderungswelle nun tatsächlich da ist. Das darf man nicht schönreden“, fordert die Präsidentin der Kultusgemeinde.

Verschwörungstheorien

Allgemein sei es durch die Neuen Medien leicht geworden, Antisemitismus öffentlich auszuleben. „Und gerade jetzt blühen natürlich Verschwörungstheorien über das Weltjudentum. Das geht sogar so weit, dass unlängst in Berlin Juden auf offener Straße mit Desinfektionsmittel bespritzt wurden.“

Dabei sei es für sie wichtig, vor allem das Verbindende zwischen den Religionen hervorzustreichen. Um Vorurteile abzubauen, macht Herman immer wieder Führungen durch die Linzer Synagoge, auch für Schulklassen: „Da wurde ich erst unlängst von einer Schülerin gefragt, ob denn alle Juden reich seien.“

Solidarität

Sie selbst sei auch in Kontakt mit der islamischen Glaubensgemeinschaft in Oberösterreich: „Das war etwa sehr berührend, dass nach dem Attentat in Halle Mitglieder der islamischen Glaubensgemeinschaft eine Mahnwache vor unserer Synagoge organisiert und so ihre Solidarität bekundet haben.“

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