Sport Teil der nationalen Identität

Die Erfolge der österreichischen Skifahrer in den 1950-er Jahren gaben Österreich das Selbstbewußtsein zurück. Hier Toni Sailer bie den Olympischen Spielen in Cortina d'Ampezzo, bei denen er drei Goldmedaillen gewann.
Sportliche Erfolge sind von gesellschaftspolitischer Bedeutung. Von Wendelin Ettmayer.

Bei den Olympischen Spielen in Tokio erbringen die besten Athleten aus der ganzen Welt großartige Leistungen. Wenn von politischer Seite versucht wird, die Leistungen einzelner Sportler zu vereinnahmen, hört man immer wieder Stimmen wie „Politik und Sport sollte man doch trennen“. Das ist falsch. Denn tatsächlich ist der Sport integraler Teil der Gesellschaftspolitik eines jeden Landes. Sportliche Leistungen standen immer wieder am Beginn der Nationswerdung, sie waren grundlegende Legitimation eines Staates und blieben dann ein wesentlicher Teil der nationalen Identität.

Sport Teil der nationalen Identität

Der finnische Läufer Paavo Nurmi errang zwölf olympische Goldmedaillen und neun Silberne.

Finnland etwa wurde 1917 ein souveräner Staat, nachdem es vorher Teil des russischen Zarenreiches war. Aber schon bei den Olympischen Spielen 1912 in London hatten finnische Athleten die Möglichkeit, sich und ihr Land einer internationalen Öffentlichkeit zu präsentieren. Die großen Erfolge eines Paavo Nurmi, seine neun Goldmedaillen und 24 Weltrekorde trugen dann dazu bei, dass sportliche Leistungen integraler Teil der finnischen Identität wurden.

Jamaika schlägt die USA

Eine Generation später wurde der Sport Teil des Nationalgefühls und des Nationalstolzes von Jamaika. Auch hier war es so, dass größte sportliche Erfolge schon vor der Unabhängigkeit des Landes 1962 erzielt werden konnten. So gelang es der 4-×-100-m-Staffel aus Jamaika, bei den Olympischen Spielen in Helsinki 1952 jene aus der USA zu bezwingen. Zehn Jahre vor der Unabhängigkeit des Landes waren es diese und weitere Erfolge, mit denen die Welt dann Jamaika identifizierte.

BRD Fußball-Weltmeister 1954

In der Zeit des Kalten Krieges wurden sportliche Erfolge zum Gradmesser für die Relevanz des jeweiligen politischen Systems hochstilisiert. Insbesondere die Deutsche Demokratische Republik (DDR) hat den Sport zu einem wesentlichen Teil ihrer Legitimation als eigenständiger Staat ausgebaut. Als die Bundesrepublik Deutschland 1954 Fußball-Weltmeister wurde, konnte sich das Land, nach der Katastrophe von 1945, wieder als Teil der internationalen Gemeinschaft fühlen. Ähnliches erlebte Japan, als Tokio zehn Jahre später die Olympischen Spiele durchführen konnte.

IOC mächtiger als viele Staaten

Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989 haben russische Oligarchen und arabische Scheichs Milliarden investiert, um so mit ihren Fußball-Clubs im Westen salonfähig zu werden. Wie sehr unsere ganze Zivilisation vom Sport geprägt ist, zeigt auch die Macht des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass das IOC sogar mächtiger ist und mehr beeinflussen kann als viele Staaten. Es verleiht Ansehen, Macht und ist, insbesondere aufgrund der Werbeverträge mit großen Konzernen, ein gewaltiger Wirtschaftsfaktor geworden. In diesem Sinne geht es wohl darum, die Bedeutung des Sports in einer Gesellschaft richtig einzuordnen. Seinen Stellenwert nicht zu erkennen, wäre genauso falsch wie blinder Nationalismus.

Wendelin Ettmayer ist ehemaliger Abgeordneter zum Nationalrat, er war Botschafter in Finnland/Estland, in Kanada/Jamaika und beim Europarat. www.wendelinettmayer.at

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