Gemüse aus dem Stadtgarten: Morgentau-Gärten boomen in Linz und Graz

Früh übt sich, wer gärtnern will: Auch Kinder sind schon eifrig dabei, helfen beim Anpflanzen, Unkraut jäten, Kartoffelkäfer klauben und ernten selbst angebautes Gemüse
Mitten in der Stadt sind die Grünflächen begrenzt, eigene Gärten sind Mangelware. Der Wunsch, sich mit grünem Daumen auszutoben, eigenes Gemüse anzubauen und zu ernten, ist aber nicht auf das Land beschränkt.
Wo?
2015 startet Österreichs größtes Bio-Urban-Farming-Projekt in Linz, rasche Expansion in Linz, Leonding und Steyr. 2018 Start der Morgentau-Gärten in Graz. Aktuell gibt es sechs Standorte in Linz und drei in Graz
Kein Dünger
Die Bewirtschaftung der Stadtgärten erfolgt nach den Richtlinien der biologischen Landwirtschaft. Chemische synthetische Dünger und chemische Pflanzenschutzmittel dürfen ebenso wie konventionelle Jungpflanzen, Erde und Saatgut nicht eingesetzt werden
50 kg Bio-Gemüse
Preis für eine 20 Parzelle (inkl. Pflanzen) pro Saison: 179 Euro, entspricht ca. 50 Kilo Gemüse
Seit zehn Jahren gibt es deshalb nun in Linz und Graz die Möglichkeit, saisonweise Parzellen auf Feldern zu mieten und diese, wenn gewünscht, unter der Anleitung von Profis zu bepflanzen und zu pflegen. Morgentau Gärten heißen die grünen Oasen im Stadtgebiet, die auch so ausgewählt werden, dass sie öffentlich gut erreichbar sind.

Herlinde Scharf hegt und pflegt ihre Pflanzen
Linz. Während einer schwierigen Krankheitsphase saß Herlinde Scharf im Rollstuhl. „Damals hab ich schon sehr geliebäugelt und mir das als großes Ziel gesetzt, meine eigene Parzelle bepflanzen zu können.“
2022 war es dann so weit. Gemeinsam mit ihrem Mann bestellte die 55-Jährige das erste Fleckchen Grün, seitdem hat sie die Begeisterung nicht mehr losgelassen. „Wir verbringen wirklich jede freie Minute dort.“ Das eigene Gemüse anzubauen, zu hegen und zu pflegen, mit der Natur in der Natur zu sein, sei eine besondere Erfahrung. Schon früher hat die Linzerin mit ihrer Oma gegartelt, kennt sich also aus, aber „das braucht man da gar nicht. Es gibt Know-how vor Ort.“ Jede Saison ist anders, was im einen Jahr üppig wächst, lässt sich ein Jahr später bitten. „Die Natur gibt mir den Speiseplan vor. Ich bin eine leidenschaftliche Köchin und verwerte immer sofort, was auf der Parzelle gerade reif ist.“
In der letzten Gartensaison habe sie kein Stück Gemüse zukaufen müssen, „es war immer alles ausreichend vorhanden.“ Außerdem habe sie als Allergikerin alles bestens vertragen. Körperlich härtere Arbeiten gehören natürlich dazu, „das kann auch meditativ sein“.
Toll sei, dass man nie auslerne, auch viele neue Leute kennenlerne: „Es ist wirklich eine wunderschöne Herausforderung.“

In Linz und Graz können saisonweise Parzellen gemietet werden
Auf 20, 40 oder 60 m² großen Parzellen können Hobby-Gärtnerinnen und Gärtner im teils dicht verbauten Stadtgebiet Bio-Gemüse anbauen und ernten. Dafür braucht es kein Vorwissen. Selbst jene, die bis dato an der Kresse gescheitert sind, können mitmachen. Es braucht Geduld und Engagement, das Wissen kommt von Fachleuten. Im April werden die teilweise vorbepflanzten Beete übernommen. Vor Ort stellt Morgentau Bio-Samen und Bio-Pflanzen zur Verfügung, um das restliche Beet zu bepflanzen.

Teamwork: Kößler arbeitet mit Freundin auf der Parzelle
Graz. Der Campari-Soda für den ersten Pflanztag am 5. April ist schon eingekühlt. „Das ist Tradition bei meiner Freundin und mir, dass wir so die Saison einläuten.“ Birgit Kößler lebt in der Grazer Innenstadt, mit dem Rad fährt sie ein bis zwei Mal pro Woche nach Andritz. Dort befinden sich die Ackerflächen, die sie mit ihrer Freundin gemeinsam bestellt.
Die Frauen betreiben ihre Parzellen als ökologisches Projekt, sprich „wir gießen kaum. Die Natur regelt das meiste selber.“ Durch die Arbeit mit dem Gemüse habe sie Lebensmittel noch mehr schätzen gelernt. „Man lernt viel über sich selbst. Meine Freundin arbeitet genau, ich bin eher chaotisch. Wir ergänzen einander gut“, lacht die Grazerin. Lauch, Zwiebel, Physalis, Knoblauch, Kürbis, Käferbohnen, Erbsen, Rüben, Kohl und vieles mehr wächst auf den Parzellen.
Wenn es besonders viel zu tun gibt, helfen auch die anderen Familienmitglieder mit, etwa beim Klauben der Kartoffelkäfer oder beim Unkraut jäten. „Danach machen wir mit beiden Familien ein Erntedank-Essen und verkochen alles, was gerade da ist.“
Überhaupt kaufe sie viel weniger zu, seit sie die Parzellen bestellt. Das Credo: „Man kann sich mit diesen Gärten einen Stress machen. Das möchten wir nicht, wir wollen das genießen und den Kopf ausschalten.“
Alles ist unkompliziert gestaltet: Deswegen gibt es leihweise Gartengeräte, den Wasseranschluss vor Ort und vor allem das Know-how. Um die Parzelle möglichst frei von Unkraut und Schädlingen zu halten, sollten rund 1,5 Stunden pro Woche für die Pflege eingeplant werden. Wer an den Feldern vorbeifährt oder -spaziert, sieht, dass manche sogar kleine Tomatenhäuser aufgebaut haben. Mehr geht also immer.
Für Familien
Eine Gartenordnung regelt die Gemeinschaft. Auch Familien schätzen das Angebot. Kinder kommen früh mit der Natur in Verbindung und lernen, was es bedeutet, eigene Lebensmittel zu produzieren. Was die Gemüsesorten im Anbau betrifft, gibt es – abgesehen von den Klassikern – eine riesige Auswahl. Die richtet sich auch nach dem, was gerade stark nachgefragt wird: „Völlig zu Recht gilt die Rote Rübe derzeit als absolutes Powergemüse. Wir verzeichnen Zuwachsraten von 15 bis 20 Prozent“, so Biopionier und Demeterbauer Christian Stadler aus Hofkirchen im Traunkreis, OÖ. Er ist auch Geschäftsführer von Morgentau Biogemüse. Hülsenfrüchte wie Kichererbsen oder Linsen sind hochwertige Lebensmittel mit hohem Proteingehalt und werden auch hierzulande immer beliebter.
Jetzt heißt es bald wieder: Saisonstart fürs Stadtgemüse.
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