„Einsamkeit wird meist als sehr belastend empfunden“

„Einsamkeit wird meist als sehr belastend empfunden“
Wer die Feiertage unfreiwillig alleine verbringt, kann in eine psychische Krise schlittern. Der KURIER zeigt, wo es Hilfe gibt.

Vor zwei Monaten ist Egon M.s Frau gestorben. Die Kinder wohnen weit weg, rufen ab und zu an, lassen sich aber selten blicken. Die Nachbarn grüßt er freundlich, besser kennengelernt hat er aber auch nach sechs Jahren noch niemanden. Die Kinder haben zwar gefragt, was er zu Weihnachten macht, aber da hat Egon M. schnell abgelenkt und eine Ausrede gesucht. Auf keinen Fall wollte der Pensionist zugeben, dass er den 24. Dezember alleine in seinen vier Wänden verbringt. Ohne Gesellschaft, ohne soziale Wärme, ohne Geborgenheit.

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Echte Belastung

So oder so ähnlich geht es rund um Weihnachten immer mehr Menschen. Sie sind einsam. „Für alleinstehende Menschen ist die Winterzeit eine echte Belastung, die Anzahl an psychischen Krisensituationen steigt“, weiß Sonja Hörmanseder, Leiterin der Krisenhilfe Oberösterreich.

„Einsamkeit wird meist als sehr belastend empfunden“

Sonja Hörmanseder, Leiterin der Krisenhilfe OÖ

„Uns beschäftigen vermehrt Themen wie Einsamkeit, Suizid und psychische Krisen. Zwar bemerken wir, dass Menschen mit Familien den sozialen Zusammenhalt bewusster zelebrieren, deswegen geht die Suizidrate um Weihnachten sogar zurück. Allerdings erleben einsame Personen, die keine Familien haben, Krisen deshalb umso intensiver.“

Unrealistisches Bild

Medien würden oft ein unrealistisches Bild des Weihnachtsfestes transportieren: „Jeder hat eine toll geschmückte Wohnung, überall nur glückliche Menschen und dazu Unmengen an Geschenken. Das ist einfach nicht die Realität“, sagt Hörmanseder. Gerade Familien oder Menschen, die es finanziell nicht leicht haben, würden durch dieses Idealbild sehr unter Druck geraten, denn „sie können sich das alles gar nicht leisten, was man angeblich zu einem perfekten Weihnachtsfest braucht.“

„Einsamkeit wird meist als sehr belastend empfunden“

Gerade Einsamkeit sei noch immer ein Tabuthema in der Gesellschaft, so Hörmanseder: „Es ist nicht leicht, zu sagen: Ich fühle mich einsam. Das ist oft mit Scham verbunden. Einsamkeit wird meist als sehr belastend empfunden.“ Wer nicht in die Nachbarschaft, Familie oder den Freundeskreis eingebettet ist, muss selbst aktiv werden, damit die Einsamkeit überhaupt bemerkt werden kann. „Das ist ein schwieriger Schritt, der viel Mut erfordert.“

„Einsamkeit wird meist als sehr belastend empfunden“

Es sei auch jedem Einzelnen ans Herz gelegt zu überlegen: Kenne ich jemanden, der zu Weihnachten alleine zu Hause sitzt? Und wenn ja, was spricht dagegen, diesen Menschen zum eigenen Fest einzuladen? „Da geht es viel darum, Anonymität aufzulösen und Gastfreundschaft zu leben.“

Wenn die Traurigkeit zu groß werde, sei es wichtig, Hilfe anzunehmen, weiß Sonja Hörmanseder: „Unsere Expertinnen und Experten von der Krisenhilfe sind täglich rund um die Uhr erreichbar. Hier wird zuerst geklärt: Was braucht diese Person? Einfach ein Gespräch? Einen weiterführenden Termin? In manchen Notfällen schicken wir sofort unser mobiles Einsatzteam los.“

Abgesehen von der Telefon- gibt es auch die Möglichkeit einer Online-Beratung: „Das Schreiben fällt vielen Menschen leichter als das Sprechen. Außerdem können aufbauende Antworten von unserem Krisenteam immer wieder durchgelesen werden. Dieses Angebot wird sehr gut angenommen.“

Die Kontaktzahlen der Krisenhilfe OÖ sind konstant hoch, nämlich 27.000 Kontakte pro Jahr. 1209 Menschen nahmen sich in Österreich 2018 das Leben, davon 950 Männer. Oberösterreich liegt bei der Suizidrate an vierter Stelle.

Unerfüllte Erwartung

„Gerade nach den Feiertagen tritt oft der Broken-Promises-Effekt auf. Der besagt, dass Menschen in psychischen Krisen zum Wochenende oder zu Feiertagen hin nochmals viel Energie aufwenden, sich etwa besonders bemühen, Konflikte zu lösen. Nach diesen Feiertagen entsteht dann ein Gefühl von nicht erfüllter Erwartungen, das zum Suizid führen kann“, weiß Hörmanseder, deswegen: „Menschen, denen es schlecht geht, darauf ansprechen und unbedingt professionelle Hilfe holen. Fast jeder Suizid ist verhinderbar.“

Krisenhilfe OÖ: Rat und Hilfe bei psychischen Krisen rund um die Uhr und – wenn gewünscht – auch anonym: 0732 / 2177 oder www.krisenhilfeooe.at

„Einsamkeit wird meist als sehr belastend empfunden“

Wer aktiv wird, findet am 24. 12. sicher Gesellschaft

Weihnachten gemeinsam feiern

Sonja Hörmanseder von der Krisenhilfe OÖ hat  Ideen, wie Menschen am 24. Dezember Gemeinschaft finden: „Man kann sich informieren, ob es  eine Feier im Ort gibt. Wer gerne selbst aktiv ist, kann seine Mithilfe bei einer Feier, zb. bei der Caritas anbieten und dann selbst den 24. dort verbringen. Es gibt auch die Möglichkeit, Zettel auszuhängen und aktiv zu kommunizieren, dass man zu Weihnachten nicht alleine sein will.“


Der KURIER macht auf Weihnachtsfeiern aufmerksam, die am 24. Dezember besucht werden können:

  • URBI@ORBI: In der Kirche in der City in Linz (Bethlehemstraße 1a) gibt es ab 18 Uhr  bei Kaffee, Tee, Keksen und Suppen ein weihnachtliches Programm – zum Mitmachen, Mitreden und Mitsingen.
  • OÖ. Tafel: Am Welser Flotzingerplatz lädt die OÖ. Tafel zum gemeinsamen Weihnachtsfest – von 10 bis 14 Uhr wird gemeinsam gegessen und gefeiert, ganz nach dem Motto: Niemand soll zu Weihnachten allein sein.
  • mensch & arbeit Braunau: Alle, die nicht allein Weihnachten feiern wollen, sind von 14 bis 18 Uhr auch vom Team des Treffpunkts mensch & arbeit Braunau (Salzburger Str. 20) herzlich eingeladen: Eine Kleinigkeit zu essen und zu trinken ist vorbereitet, es können Gesellschaftsspiele gespielt und Geschichten ausgetauscht werden.

 

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