Eine große Liebe am Abgrund

Brief einer Unbekannten
Stefan Zweigs „Brief einer Unbekannten“ hat starke aktuelle Bezüge. Werner Rohrhofer hat sich die Aufführung im Linzer Theater Tribüne angesehen.

Man mag Werken der klassischen Literatur manchmal vorwerfen, dass sie thematisch und sprachlich aus der Zeit gefallen sind. Das Gegenteil beweist jetzt das Linzer Theater Tribüne mit der Produktion „Brief einer Unbekannten“ nach Stefan Zweig.

Was sich in dieser Erzählung zu Beginn des 20. Jahrhunderts rund um eine junge Frau und die Liebe ihres Lebens abspielt, könnte hier und heute jederzeit so oder ähnlich geschehen. Modern ausgedrückt: eine spezielle Art von Stalking mit tragischem Ende.

Beziehung?

„Brief einer Unbekannten“ ist im Jahr 1922 erschienen. Eine 13-Jährige und spätere junge Frau entwickelt zu einem Romanschriftsteller eine intensive „Beziehung“, die aber nur in der Fantasie existiert. Der Mann, ein oberflächlicher Dandy-Typ, merkt davon nichts. Für die Frau wird die große Liebe zum alleinigen Inhalt ihres Lebens, fernab der Realität. Eine Art von Stalking, bei der der „Gestalkte“ bis zum Schluss ahnungslos bleibt, die „Stalkende“ aber daran zerbricht. Der Mann pflegt seine Beziehungen zu anderen Frauen, lebt oberflächlich und – wie es Stefan Zweig ausdrückt – mit einer „geistigen und sinnlichen Leidenschaft“.

Auch zwei gemeinsame Nächte ändern an dieser Konstellation nichts, der Mann vergisst die vermeintliche Gespielin, die Frau bleibt verlassen mit ihrer verzweifelten Liebe und Sehnsucht zurück. Die Folge ist allerdings ein gemeinsames Kind, von dem der Vater jedoch nichts erfährt.

Das Kind stirbt

Erst als das Kind an der Spanischen Grippe stirbt, beschließt die Frau, dem Mann in einem langen – aber anonymen – Brief, die ganze Wahrheit zu offenbaren. Kurz darauf hält der Schriftsteller den „Brief einer Unbekannten“ in Händen, vorerst interessiert und zunehmend betroffen.

Soweit Zweigs Erzählung, die für die Tribüne von Cornelia Metschitzer einfühlsam dramatisiert und inszeniert wurde. Das Ambiente bleibt dem Beginn des 20. Jahrhunderts treu, Metschitzer versucht auch nicht, irgendwelche Pseudoaktualisierungen vorzunehmen.

Der erschütternde Brief, der sich als roter Faden durch das Geschehen zieht, ist als Spiegelbild einer Psychotragödie genug. Dramaturgisch werden unterschiedliche Ebenen miteinander verknüpft: Das Lesen des Briefes durch die beiden Protagonisten, Rückblenden, Textelemente, dezente Hintergrundmusik und vor allem Pantomime zu aus dem Off vorgetragenen Briefpassagen. Masken ersetzen nicht vorhandene Randfiguren des Dramas. Viel Raum also für die Fantasie des Publikums.

Überzeugend

Lisa Kröll als Frau und Jakob Griesser als Mann gelingt es schlüssig, die jeweilige Situation und Gemütsverfassung zum Ausdruck zu bringen. Kröll als die von ihrer obsessiven und – in der Fantasie – besitzergreifenden Liebe ist überzeugend und darstellerisch eindrucksvoll. Griesser wiederum gibt dem oberflächlichen, ahnungslosen und letztlich erschütterten Mann glaubhaft Gestalt.

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