Ein spezieller Marathon durch Paris

Sportmedizinerin Silke Kranz beim Paris-Marathon am 14. April 2019
Woran uns der Brand von Notre Dame erinnern soll: Jeder Moment ist es wert, gelebt zu werden.

In der vergangenen Woche habe ich Ihnen erzählt, dass ich am Paris-Marathon teilnehme. Heute kann ich guten Gewissens schreiben, dass dies wohl der Besonderste meiner bisherigen acht war. Erstmalig habe ich mir weder in der Vorbereitung noch am Tag X irgend etwas vorgenommen, mein einziges Ziel war, diesen Tag zu genießen. Und ich bin unendlich dankbar dafür, dass ich das gemacht habe. Im Verlauf der Strecke war immer wieder angeschrieben, welches Monument nun zu sehen sei: Zum Beispiel é voilà - zu Ihrer Linken sehen Sie nun den Eiffelturm. Nun laufen Sie unter der Pont Neuf durch. Der Louvre und die Operà waren nicht zu übersehen. So auch Notre Dame.

Geschichtsträchtig

Über den Brand in der wohl berühmtesten Kathedrale der Welt war ich mehr als bestürzt. Am letztmöglichen Tag bin ich daran vorbeigelaufen. Wie froh bin ich, diese Momente nicht vergeudet zu haben, um meine Pace auf der Uhr kontrollieren zu müssen. Die Kirche wurde von 1163 bis 1345 erbaut. Während der Revolution 1793 wurde sie gestürmt und das gesamte Metall eingeschmolzen. Napoleon krönte sich 1804 dort zum Kaiser. Victor Hugo stellte mit seinem Roman „Der Glöckner von Notre Dame“ 1831 einen weiteren Meilenstein für das Denkmal dar. 1991 wurde die Kathedrale endgültig zum Weltkulturerbe erklärt. In der Osterwoche 2019 wurde sie nun beinahe zerstört.

Keine Angst, nur Sinne schärfen

Ich halte mich weder für überdurchschnittlich gläubig noch für extrem kulturbewandert, aber der Brand von Notre Dame hat mich erschüttert. Europäische Geschichte wurde aus dem Nichts heraus zerstört. Das zeigt mir wieder einmal auf, wie schnell etwas passieren kann. Damit möchte ich um Gottes Willen keine Angst schüren, im Gegenteil: Schärfen wir unsere Sinne so, dass wir jeden Moment in uns aufsaugen können. Ich fahre nach Paris und speichere die Momente ab, in denen ich mit sage und schreibe 60.000 anderen MarathonteilnehmerInnen an Notre Dame vorbeigelaufen bin.

Auf das Wesentliche besinnen

Ich besuche zu Ostern meine 96-jährige Großmutter und singe mit ihr ein Kirchenlied, weil es ihr Freude bereitet - und bin unsagbar stolz, dass sie das in dem Alter noch kann. Ich esse mit meiner Familie süße Osterpinze mit Weihfleisch, obwohl ich das weder wegen des Geschmacks noch aus ernährungsmedizinischer Sicht brauchen würde. Aber es hat Tradition und ich möchte es an keinem einzigen Osterfest missen.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich in diesen Tagen auf das Wesentliche besinnen und ein paar unwiederbringliche Stunden mit Ihren Lieben genießen können – frohe Ostern!

 

Silke Kranz ist Sport- und Allgemeinmedizinerin in Bad Zell, www.sportplusmedizin.at

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