Kleingärten: Das Idyll in der Stadt
Von Julia Beirer
1700 Bewohner, mehr als in so manchen Dörfern Österreichs, leben ganzjährig und zeitweise auf der Wasserwiese im zweiten Bezirk in Wien. Einem von insgesamt 275 Kleingartenvereinen in der Hauptstadt. „Wir sind eine sehr große Anlage“, so Karl Schleritzko, Kassier und ganzjähriger Bewohner. Seit 1994 lebt er mit seiner Frau im Kleingarten. „Anfangs waren wir nur an den Wochenenden da. 2001 haben wir dann selbst gebaut, weil wir auch im Winter hier sein wollten“, erzählt der Pensionist weiter. Den Pachtvertrag hat er für 75 Jahre abgeschlossen. Was danach mit dem Haus geschieht, werden weder er noch seine Kinder erleben, daher kümmert er sich nicht drum.
Schleritzko sitzt in seiner Wohnküche und blickt zufrieden aus seiner Fensterfront, die fast die Hälfte seines Hauses umgibt. „Es ist wie fernsehen. Ich beobachte die Vögel am Baum und bekomme immer wieder Besuch von den Nachbarskatzen“, so Schleritzko. Rehe sind oft in der Anlage zu sehen und einmal ist sogar ein Dachs durch seinen Garten gehuscht.
Im Kleingarten ist man nie allein. Jeden Dienstag treffen sich Interessierte zum Tischtennis spielen, am Mittwoch findet Damenturnen statt. Einmal im Monat liefern umliegende Bauern Eier, Kartoffel und Honig und zweimal jährlich wird für den guten Zweck Punsch getrunken. Dass die Nachbarhäuser nur wenige Meter von den eigenen vier Wänden entfernt sind, stört die Schleritzkos nicht. „Wir haben eine gute Gemeinschaft“, erzählt der Kleingartenpächter.
„Das Miteinander muss man mögen und man sollte es auch leben“, schließt sich Sylvia Hufnagel an. Sie wohnt mit Mann und Hund im Kleingartenverein Sommerheim im zwölften Bezirk und könnte sich kein anderes Leben mehr vorstellen. Sie ist ebenfalls Kassierin und sehr engagiert im Kleingartenverein. Mit der Nachbarin jätet sie am Zaun entlang das jeweilige Blumenbeet und im Sommer organisiert sie das große Fest mit. „Vereinsaktivitäten werden aber immer weiniger. Gerade die jungen haben dafür kaum Zeit“, so Hufnagel. Vor zehn Jahren hat sie das 426 große Grundstück gekauft. Das zweistöckige Haus ist damals bereits gestanden. „Wir haben das Erdgeschoß und den ersten Stock mit jeweils 5 0 und einen Keller mit 83 “, erzählt Hufnagel. Das ist die maximale Fläche, die laut Kleingartengesetz für Wohnraum verbaut werden darf. Im Mittelpunkt steht schließlich der Garten.
Klare Regeln gelten auch für den Bau von Balkon, Pool, Gartenhütte und Zaun. So muss die Terrasse in zwei Richtungen offen sein. Ein Wintergarten würde zusätzlichen Wohnraum schaffen und ist deshalb nicht erlaubt. Die Gartenhütte darf eine maximale Höhe von 2,2 Metern und Fläche von 5 nicht überschreiten. „Streng genommen sind sogar Fenster verboten. Es soll Abstellraum für Räder, Schubkarren und in unserem Fall Hundespielzeug sein“, sagt Sylvia Hufnagel. Auch für den klassischen Maschendrahtzaun, der die Grundstücke trennt, gibt es klare Richtlinien. Er darf beispielsweise nicht durch eine Ziegelmauer ersetzt werden und auch Hecken, die eine Höhe von 1,5 Metern überschreiten, sind verboten.
Baurechtlichen Herausforderungen bei Kleingartenhäusern kennt Architektin Katharina Bayer nur zu gut. Sie hat mit dem XS (Bild oben) den Neubau eines Kleingartenhauses im 13. Wiener Bezirk geplant. „Ich habe versucht die Außenbereiche stark mit einzubeziehen und sie mit dem Innenraum verbunden“, erklärt Bayer. Große, gläserne Schiebetüren und aufklappbare Holzläden vergrößern den kleinen Wohnraum optisch. Die Architektin empfiehlt bei kleinen Bauten maßgeschneiderte Möbel und Stauraum in Elementen wie der Treppe zu schaffen.
Den enormen Andrang auf die Schrebergärten bremsen die vielen Bauvorschriften allerdings nicht. Die Wartelisten der einzelnen Kleingartenvereine werden immer länger. „Wir können der hohen Nachfrage leider nicht nachkommen“, bedauert der Wiener Landesverbandsobmann Helmut Bayer. Das liege auch an den unterschiedlichen Widmungen, denn nicht alle Kleingärten verfügen über ein ganzjähriges Wohnrecht. „Es muss eine sogenannte EKLW Flächenwidmung (siehe rechts: „Rechte im Garten“) stattfinden, um das zu erlauben“, so der Landesverbandsobmann. Derzeit könne nur dann ein Kleingarten ergattert werden, wenn ein Pachtvertrag aufgelöst wird. Dann rückt der Listennächste vor. „Die Reihenfolge wird korrekt abgearbeitet. Jeder muss warten, bis er dran ist, egal wen man kennt“, erklärt Schleritzko. Er selbst habe damals sechs Jahre gewartet. „Die Leute, die jetzt einziehen, haben sich bereits 2007 angemeldet“, sagt er. Beim Verein Wasserwiese ist die Warteliste mit 230 Personen derzeit so lang, dass die Aufnahme sogar gestoppt wurde.
Weit weniger Interesse bestehe allerdings, wenn es um das Betreiben der Vereine geht. Die Verwaltung der Kleingärten sei eine große Aufgabe und das unterschätzen viele. „Es beginnt beim Kanal unter der Erde und endet beim Licht an der Decke“, erklärt Helmut Bayer. Auch Hufnagel will das Amt der Kassierin abgeben: „Jetzt sind die Jungen dran.“
Woher kommt der Schrebergarten?
Der Name Schrebergarten geht zurück auf Dr. Daniel Schreber. Als Verfechter der schwarzen Pädagogik hatte er zwar nichts mit Gärten zu tun, trotzdem wurde 1864 ein Verein in Leipzig nach ihm benannt. Der sogenannte Schreberverein kaufte Wiesen und baute darauf Gemüse an. Schnell entstanden Gartenkolonien, die sogenannten Schrebergärten. Sie wurden durch Zäune getrennt und eine Gartenordnung legte alle Regeln fest. Der Schrebergarten war von nun an Teil des großstädtischen Erholungsgebiets. In Österreich begann alles mit dem „Wiener Naturheilverein“. „Die Wiener nannten sie die Grasfresser von Purkersdorf, weil viele von den Mitgliedern Vegetarier waren“, schreibt Peter Autengruber im Buch „Die Wiener Kleingärten“.
Gegründet wurden die Schrebergärten in
Wien zunächst aufgrund der Lebensmittelknappheit, die um 1910 begann. Mit Kriegsbeginn 1914 gab es in Wien 150.000 Kleingartenflächen. Niedriger Pachtzins und lange Pachtdauer waren damals bereits gesetzlich festgelegt. Der älteste Wiener Kleingartenverein ist mit 111 Jahren der KGV Esparsette . Er befindet sich im 12. Bezirk.
Rechte im Garten
Kleingärten sind Grundstücke mit einer Fläche von 120 bis 650. „Sie sind vorwiegend gärtnerisch genutzte Grundflächen, die der individuellen Erholung oder dem Wohnen dienen, jedoch nicht erwerbsmäßig genutzt werden“, so Rechtsexpertin Julia Peier.
Kleingärten können entweder gepachtet oder gekauft werden. Die Pachtdauer muss mindestens zehn Jahre betragen und kann im Todesfall des Pächters von dessen Ehegatten oder Verwandten in gerader Linie (Kinder oder Wahlkinder) weitergeführt werden. „Besteht Interesse an einem Kleingarten, sollte man sich direkt an die zuständigen Vereinsleitungen wenden. Diese haben das Vorschlagerecht“, so Peier. Der Zentralverband regelt die Verträge letztinstanzlich.
Dauerhaft leben kann man nur in Wiener Kleingartenhäusern. Dafür ist die Widmung „Grünland–Erholungsgebiet–Kleingartengebiet für ganzjähriges Wohnen“ nötig. Dort kann der Hauptwohnsitz angemeldet werden.