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Einsam nach dem Lockdown: Warum viele Menschen isoliert bleiben

Quarantäne, Lockdown, geschlossene Grenzen: Die Pandemie hat uns in den letzten zwei Jahren viel Zeit mit uns selbst beschert. Während einige hoffnungsfroh das Ende von FoMo oder Fear of missing out (dt.: Angst, etwas zu verpassen) verkünden, zeigen Studien, dass viele Menschen – bewusst oder unbewusst – in die langfristige Einsamkeit gedrängt werden.

Nach dem Lockdown

Noch Monate nach dem Lockdown wissen viele Menschen nicht, wie sie an ihr altes Sozialleben anknüpfen sollen. Zu diesem Ergebnis kommt eine australische Studie des Soziologen Roger Patulny (University of Wollongong) und der Forscherin Marlee Bower vom Matilda Centre for Research in Mental Health and Substance Use an der University of Sydney.

In den vergangenen zwei Jahren haben Patulny und Bower mehr als 2.000 Australierinnen und Australier befragt, um ihre Interaktionen, Lebensweisen und Pläne während und nach den Kontaktbeschränkungen zu erheben.

Australien beendete seinen Lockdown im Jahr 2020 deutlich früher als andere Länder. Die Studie gewährt daher auch Einblicke in die Monate danach.

Soziale Müdigkeit

„Einsamkeit ist ein ernstes soziales und gesundheitliches Problem, das mit schlechter mentaler Gesundheit und einem verfrühtem Tod zusammenhängt“, fassen die Autoren der Studie zusammen. Sie tritt auf, wenn unsere zwischenmenschlichen Beziehungen nicht unseren sozialen Bedürfnissen entsprechen.

Menschen können einsam sein, wenn sowohl die Qualität als auch die Quantität ihrer Freundschaften abnimmt.

Von diesem Phänomen berichten viele der für die Studie befragten Australierinnen und Australier. Sowohl die Qualität als auch der Umfang ihrer Freundschaften habe ihren Aussagen zufolge abgenommen – nicht nur während des Lockdowns 2020, sondern auch Monate danach.

Antworten wie „Alle haben sich zurückgezogen ... Keiner will mehr etwas unternehmen“ oder „COVID hat mir die Möglichkeit geboten, mich stärker zurückzuziehen. Jetzt, wo alles wieder öffnet, möchte ich nicht mehr herauskommen“ zeigen ein allgemeines Gefühl der sozialen Müdigkeit.

Weniger Zeit mit Bekannten

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der australischen Studie beschreiben, dass ihre Freundeskreise in den letzten Jahren auf einen harten Kern zusammengeschrumpft seien. Sie hätten mehr Zeit mit engen Freundinnen und Freunden, aber weniger Zeit mit Bekannten verbracht. Dieses Phänomen wird auch als „pruning“ bezeichnet, also das „Beschneiden“ oder „Zurechtstutzen“ von Freundschaften.

Viele Befragte gaben an, durch die pandemiebedingten Einschränkungen schlicht nicht die Möglichkeit gehabt zu haben, sich mit anderen auszutauschen. Zufällige Freundschaften im Fitnessstudio, Klassenzimmer oder Büro waren schlichtweg nicht möglich. Wieder andere wollten aus Sorge vor einer Ansteckung mit Covid-19 nur noch mit den engsten Vertrauten zusammenkommen.

Auch bestimmte Personengruppen seien laut Patulny und Bower tendenziell anfälliger für den Verlust von Freundinnen und Freunden. So etwa Singles, Menschen mit sozialen Angststörungen oder körperlich und geistige Beeinträchtigte. Auch Menschen, die sich an wichtigen Schnittpunkten ihres Lebens wie Schulabschluss, Uni-Start oder Geburt eines Kindes befinden, können stärker von langfristiger Einsamkeit betroffen sein, so Patulny gegenüber The Guardian.

Jüngere Menschen wurden beispielsweise über Distance Learning oder Kündigungen von Nebenjobs verstärkt in die Einsamkeit gedrängt. Viele seien aus Geldgründen wieder zurück in das elterliche Nest gezogen. Statt Freundinnen und Freunden fanden sie sich plötzlich wieder inmitten der Familie wieder.

Online-Freundschaften

Als physischer Kontakt kaum möglich war verlagerten sich soziale Interaktionen weitgehend ins Netz. Soziale Medien, Gaming und Videokonferenzen bekamen in den Coronawellen einen völlig neuen Stellenwert. Viele sahen darin die Chance, sich mit entfernten Freundinnen und Freunden zu vernetzen.

Im Lockdown hätte er keine Entschuldigung gehabt, nicht an Online-Treffen teilzunehmen, so ein Studienteilnehmer. Dennoch, der insgesamt zunehmenden Einsamkeit konnte auch über virtuelle Kommunikationsmöglichkeiten nicht Einhalt geboten werden.

Die Autoren der Studie warnen davor, sich auch nach der Pandemie zu stark auf digitale Interaktionen zu beschränken: „Wir müssen uns an den Wert (und den Spaß!) persönlicher Kontakte erinnern und darauf achten, auch in Zukunft alte und neue Freunde wiederzusehen.“

Resozialisierung nach der Pandemie sei keine Selbstverständlichkeit und bedürfe aktiver Mithilfe. „Wir müssen uns bewusst darum bemühen, uns mit alten Freunden zu treffen und neue zu finden, sobald wir dies wieder in persona tun können.“