Wie der Klimawandel Hochwasser ändert
Begleiten wir Hydrologen bei ihrer Arbeit: Überall in Europa beobachten sie seit Jahrzehnten die Flüsse. In Österreich sogar seit 1894. Mitarbeiter messen – egal ob in Wien, Linz oder Krems-Stein – Wasserstand und -geschwindigkeit. Daraus wird die Wassermenge pro Sekunde errechnet. „Wir haben den Spitzenwert in jedem Jahr hergenommen und uns angeschaut, wie sich diese Durchflussraten über die Jahrzehnte verändert haben“, erzählt Günter Blöschl.
Das Fazit des Hydrologen vom Institut für Wasserbau und Ingenieurhydrologie der Technischen Universität (TU) Wien: In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Hochwasser-Ereignisse verändert.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Ausmaß von Hochwasserereignissen in Europa regional unterschiedlich verändert. Während einige Regionen einen Anstieg von Überschwemmungen um mehr als elf Prozent pro Jahrzehnt zu verzeichnen haben, sind diese in anderen Gebieten um 23 Prozent zurückgegangen. Schuld daran ist eindeutig der Klimawandel, zeigt Günter Blöschl von der Technischen Universität Wien.
Er leitete eine Untersuchung, an der sich insgesamt 35 Forschungsgruppen beteiligten. Die Studie wurde jetzt im Fachjournal Nature veröffentlicht. Europaweit wurde an 3.738 Wassermessstellen die Daten von 1960 bis 2010 ausgewertet.
Die Überraschung: „Sie sind nur in Teilen Europas mehr geworden“, sagt der Wissenschafter und philosophiert: „Lange glaubte man ja, dass der Klimawandel alles schlechter macht – Dürren werden schlimmer, Hochwasser heftiger.“ Stimmt nicht! „Manches wird auch besser. In zwei Dritteln Europas werden die Hochwasser kleiner.“ Ost- und Südeuropa ginge es in dieser Hinsicht besser als noch vor 1960.
Das konnte Blöschl jetzt erstmals mit Forscherkollegen in einer groß angelegten Studie belegen: „Früher wurde nur spekuliert. Wir haben jetzt nachgewiesen, dass der Klimawandel einen Einfluss auf Hochwasser hat. Allerdings anders als angenommen: Das Bild in Europa ist nicht einheitlich.“
Alpenhauptkamm
Die Grenze zwischen Plus und Minus ist überraschend scharf, erklärt der Hydrologe im Interview mit dem KURIER: „Und sie verläuft eindeutig entlang des Alpenhauptkamms.“
Er weiß auch warum: „Weil die Tiefdrucksysteme, die von Nordamerika über den Atlantik nach Europa kommen, weiter im Norden sind als früher. Das hängt damit zusammen, dass sich der Nordpol stärker aufwärmt als früher. Dadurch verschiebt sich der Druck. Jener Teil von Europa, der vom Atlantik beeinflusst ist – der Nordwesten – bekommt mehr Regen, die Hochwasser werden größer. Rund um das Mittelmeer gibt es dagegen weniger Niederschlag.“
Die Lage verschärfe sich auch, weil Tiefdruckgebiete heute festsitzen. Es regnet in einem Gebiet also länger. Blöschl: „England, Irland, Island sind ganz massiv betroffen, die Fjordküste von Norwegen und die Atlantikküste von Frankreich ebenfalls.“
Hochwasser-Rückhaltebecken und -Risikozonen vergrößern, ist sein Rat. Denn wenn Flüsse über die Ufer treten, richten sie gewaltigen Schaden an. Die Wissenschafter beziffern in ihrer Arbeit die weltweiten jährlichen Schäden mit mehr als 90 Milliarden Euro und gehen davon aus, dass diese mit anhaltendem Wirtschaftswachstum und Urbanisierung sowie durch den Klimawandel weiter zunehmen.
Vorsichtige Entwarnung
Für Österreich gibt es von Blöschl eine vorsichtige Entwarnung: „Im Vergleich zum Nordwesten Europas sind die Zunahmen relativ klein“ (siehe Grafik oben). Und er wagt eine Prognose: „Es ist wahrscheinlich, dass die Änderungen, die wir in den vergangenen Jahrzehnten gesehen haben, sich auch in Zukunft fortsetzen. Denn das Klimasystem ist ein träges System.“ Die regionalen Hochwassermuster entsprächen den vorhergesagten Klimaveränderungen ziemlich genau. „Das zeigt uns: Wir sind bereits mittendrin im Klimawandel.“
Hydrologe Blöschl abschließend: „Das Hochwasser-Management muss sich an diese neuen Realitäten anpassen, sonst werden die jährlichen Hochwasser-Schäden noch schneller steigen als bisher“. Wobei: „Österreich hat seine Hausaufgaben gemacht, wir sind bei der Klimawandel-Anpassung für Hochwasser sehr gut aufgestellt.“